Wolf unter Wölfen
wenn der Herr Rittmeister sich von mir trennen will, so bitte ich, es mir rechtzeitig zu sagen, damit
ich
kündigen kann. Denn es ist immer hinderlich für meinen Lebensweg, wenn ich gekündigt worden bin …«
»Schön, schön«, sagte Frau von Prackwitz, die den kurzen Brief überflog und verständnislos die Bogen mit den Zahlen angesehen hatte. »Es soll nach Ihren Wünschen geschehen, Hubert. – Dies«, sagte sie erklärend, »ist nur ein belangloser Geschäftsbrief, nichts wegen Fräulein Violet. Elias ist wohl für eigene Rechnung ein bißchen neugierig gewesen.«
Hubert sah aber, daß die gnädige Frau den Brief nicht in der Hand behielt. Sie knickte ihn viele Male und schob ihn in ein Seidentäschchen an ihrem Kleid.
»Wenn Sie Herrn von Studmann sehen, Hubert, so sagen Sie ihm doch, er möchte gegen sieben, nein, sagen wir, um drei Viertel sieben hier vorbeikommen …«
Und damit nickte die gnädige Frau Hubert noch einmal kurz zu und ging dann in das Zimmer zum Rittmeister.
Hubert blieb noch einen Augenblick auf der Diele stehen, bis er die beiden drinnen reden hörte. Dann schlich er Stufe um Stufe, immer den ganzen Fuß sachte aufsetzend und abhebend, die Treppe hinauf, so daß keine Diele knackte.
Oben ging er rasch über den Flur, klopfte nur einmal leise gegen die Tür und trat schnell ein.
In dem Zimmer saß Violet an einem Tischchen, ein zerknülltes, feuchtes Taschentuch und rote Flecke auf dem Gesicht bewiesen, daß auch sie geweint hatte.
»Na –?« sagte sie nichtsdestoweniger gespannt. »Hat Mama Sie auch in der Mache gehabt, Hubert?«
»Gnädiges Fräulein sollten nicht so leichtsinnig sein beim Lauschen«, tadelte Hubert. »Ich habe die ganze Zeit IhrenFuß auf dem obersten Treppenabsatz gesehen. Und die gnädige Frau hätte ihn auch sehen können …«
»Ach, Hubert, die arme Mama! Eben hat sie hier geweint. Manchmal tut sie mir schrecklich leid, und mir ist, als müßte ich mich schämen …«
»Das Schämen hat keinen Zweck, gnädiges Fräulein«, sagte Hubert streng. »Entweder leben Sie, wie die alten Herrschaften es wollen, dann brauchen Sie sich nicht zu schämen. Oder Sie leben, wie wir Jungen es für richtig halten, und dann haben Sie es erst recht nicht nötig.«
Weio sah ihn prüfend an. »Manchmal denke ich doch, Sie sind ein sehr schlechter Mensch, Hubert, und Sie haben ganz schlechte Pläne«, sagte sie, aber ziemlich vorsichtig, fast ängstlich.
»Was ich bin, das muß Sie nichts angehen, gnädiges Fräulein«, sagte er so rasch, als hätte er das alles längst überlegt. »Und meine Pläne sind eben meine Pläne. Was Sie wollen, darauf muß es Ihnen ankommen!«
»Und was hat Mama gewollt?«
»Nur die üblichen Fragen nach dem unbekannten Mann. Die Großeltern machen sich auch Gedanken um Sie, gnädiges Fräulein.«
»Ach Gott, wenn sie mich doch endlich hier rausholten! Ich halte es nicht mehr aus hier drin! Ich heule mich noch tot! War denn wirklich wieder nichts im Baum, Hubert?«
»Kein Brief, kein Zettel!«
»Wann hast du denn nachgesehen, Hubert?«
»Grade vor dem Kaffeetrinken.«
»Sieh jetzt noch einmal nach, Hubert. Geh gleich hin und sage mir sofort Bescheid.«
»Das hat doch keinen Zweck, gnädiges Fräulein. Er kommt doch nicht bei Tage ins Dorf.«
»Und paßt du bei Nacht auch gut auf, Hubert! Es ist doch unmöglich, daß er gar nicht kommt! Er hatte es mir fest versprochen! Schon die übernächste, nein, die nächste Nacht hat er hiersein wollen …«
»Er ist bestimmt nicht hiergewesen. Ich hätte ihn getroffen, und ich hätte es auch gehört, wenn er hiergewesen wäre.«
»Hubert, ich halte es einfach nicht mehr aus … Ich seh ihn, bei Tag und bei Nacht, und dann fühle ich ihn, als wäre er wirklich hier, aber wenn ich dann zufasse, dann ist es nichts, und ich falle wie über hundert Stufen … Mir ist ganz anders, es ist, als wäre ich vergiftet, ich habe keine Ruhe mehr … Und dann sehe ich seine Hände, Hubert. Er hat so schöne Hände, Hubert, sie fassen so fest zu, und dann rieselt ein Schauer über einen … Ach, was ist bloß mit mir los –?«
Sie starrte den Diener Hubert Räder mit weit aufgerissenen Augen an. Aber es war nicht sicher, daß sie ihn überhaupt sah.
Der Diener Räder stand wie ein Stock unter der Tür. Sein grauer Teint rötete sich nicht, sein Auge blieb grau und ohne Glanz, wenn er auch unverwandt auf das weiche, ganz sich öffnende Mädchen sah.
»Dabei müssen Sie sich nichts denken«, sagte er in
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