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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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vermutlich seit der Erbauung von Meienburg liegt, wo das Handarbeitsgeschäft von Fräulein Otti Kujahn ewig liegen wird: in der kleinen Bergstraße, schräg gegenüber der Konditorei Köller (Café Knutsch). Die Ladentür probiert Sophie gar nicht erst: in so etwas sind die Kleinstädter korrekt, an einem Sonntagnachmittag ist die Ladentür verschlossen.
    Aber hintenherum macht es dann auch nicht die geringsten Schwierigkeiten. Das kleine bucklige Fräulein Kujahn, mit demselben eisgrauen Haar, demselben schmachtenden Taubenblick wie vor zehn Jahren, ist sehr erfreut, sie führtBadeanzüge, sie ist auch bereit, sie an einem Sonntagnachmittag zu verkaufen.
    Es sind keine modernen Badeanzüge, es sind nicht diese Wassergewänder, die bei jeder Bewegung eine andere Hautpartie aufleuchten lassen, die nur aus Ausschnitten zu bestehen scheinen, Sophie stellt es mit leisem Bedauern fest. Es sind Anzüge, die den Körper anziehen, bekleiden, nicht entkleiden. Aber vielleicht ist es gerade recht so, Sophie hat nicht die Absicht, den heranwachsenden Lümmeln Neulohes ein Schauspiel zu bieten. Sie kennt die Gewohnheiten dieser Herrchen, an freien Nachmittagen alle Bademöglichkeiten zu belauern, um einen Blick auf die Mädchen des Dorfes zu gewinnen. Sophie wählt also einen vollkommen dezenten schwarzen Anzug mit weißen Biesen und einem Minimum an Ausschnitt. Eine Badekappe kauft sie auch.
    Der Preis, den Otti Kujahn für diese beiden Dinge fordert, nach langem Zögern fordert (Ja, was soll ich nun für die Sachen nehmen? Mich haben sie noch nicht drei Mark gekostet), entspricht etwa dem Porto für einen Stadtbrief. Sophie ist nun doch der Ansicht, daß das Handarbeitsgeschäft Kujahn nicht ewig bestehen wird. Bei diesen Preisen wird Fräulein Kujahn die Inflation nicht aushalten, sondern bald ausverkauft und verhungert sein.
    Das Rad singt leise, sachte knirscht die Kette, in der Nachmittagsstille stehen die Wälder wie schlafend, die Vögel sind still, von den Schuhspitzen fegt das streifende Heidekraut den Staub. In Sophie ist es still, wie es im Walde still ist, etwas wie Glück erfüllt sie, eine lange nicht mehr gefühlte Ruhe. Die Sonne rückt nicht, der Tag schreitet nicht weiter – das Glück bleibt.
    Tief drinnen im Walde liegen die Krebsteiche, eine Kette von kleinen Tümpeln, verschilft, morastig, nur in einem größeren, seeartigen ist zu baden. Einen Augenblick liegt Sophie still in der Sonne. Aber es leidet sie dann nicht, sie muß hinein ins Wasser, seine Kühle fühlen, seine Frische erfahren.
    Langsam steigt sie hinein. Sachte fällt der feinsandige Grund ab, kühl und frisch, wie nichts auf dieser Erde kühl und frisch ist, steigt das Wasser an ihren Gliedern hoch. Einmal schaudert sie, als die Kühle ihren Bauch erreicht, aber auch dieser Schauder ist schön. Und er ist gleich vorbei, sie kommt tiefer, sie legt sich vornüber, sie kriecht in sich zusammen – und in einem langen Schwimmstoß sich streckend, gleitet sie ganz hinein in die Kühle, wird eins mit ihr, kühl wie sie!
    Nun treibt sie, still auf dem Rücken liegend, leise nur fächeln die Hände, das Gleichgewicht zu erhalten. Eingebettet in das eine Element, Teil von ihm geworden, fühlt sie bei geschlossenen Augen auf der kleinen Fläche Gesicht das andere Element, das Feuer, einen himmlischen Gruß. Die sanfte Wärme der Sonne durchdringt sie, diese Wärme, die nichts Ausdörrendes hat wie die künstlichen Feuer der Menschen, liegt auf ihrem Gesicht. Ein Windstoß scheint sie abzuheben, fortzuwehen. Aber schon ist sie wieder da, dringt in sie ein, wie etwas Nahrhaftes, ein göttlicher Trank. Ja, diese sanfte Wärme hat etwas vom Leben, vom wachsenden Leben, vom ewigen Leben – sie spendet Glück!
    Aber das Glück, das Sophie Kowalewski jetzt empfindet, hat nichts gemein mit der Kinderfreude, mit dem Lebensglück, an das sie sich heute früh erinnert hatte. Selig lachend, unwissend singend war das Kind durch die Wälder getanzt, die Wonne des Daseins, des Geborenseins hatte es erfaßt, wie sie einen Vogel erfaßt oder ein Kalb auf der Weide, das immer höher springen möchte. Das Glück, das Sophie jetzt empfand, hatte viel Erfahrungen zur Voraussetzung, es war ganz und gar kein Kinderglück. Nach Monaten des Sehnens, des Quälens, des Vergiftens war ihr Leib zum erstenmal wieder in Einklang mit sich selbst. Sie spürte ihn nicht mehr, er hatte keine Forderung an sie, er quälte die Seele nicht mehr. Wie er still treibend im Wasser ruhte, so

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