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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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ruhte er auch still in dem ewigen See der Wünsche, des Sehnens, des Begehrens.
    Das selige unbewußte Kinderglück ist nie wieder zu erreichen. Die Pforte fiel zu, mit der Unschuld ist es vorbei – aberviele Glücksmöglichkeiten hat das Leben! Sie hatte gemeint, es sei in der Zelle gewesen, bei ihm, in seinem Arm, sein Gesicht ferne und doch nah über ihr … Aber nun war es hier im Wasser, Welle auf Welle von Wärme, Welle auf Welle von Glück …
    Träumend steigt sie aus dem Wasser, träumend legt sie sich auf den Sand, einen Arm aufgestützt, das Kinn in der Hand, sieht sie nahe in das Gewirr der Gräser. Sie legen sich ineinander, kleine Höhlen gehen hinein – aber sie sieht nichts. Das wirkliche Glück hat keinen Namen, kein Wort, kein Bild. Es ist ein sanftes Schweben im Irgendwo, keine Melodie auf das Lied: Ich bin da! – sondern etwas wie eine halb schwermütige Klage zu den Worten: Ich bin ich. Denn wir wissen dunkel, daß wir alt werden müssen und häßlich und zu sterben haben.
    Als sie Schritte hört, sieht Sophie kaum auf. Sie zieht nur träge den Badeanzug hoch über die nackte Brust, sie sagt halblaut, ganz abwesend: »Guten Tag.« Zu einer andern Stunde hätte sie den Zufall begrüßt, der sie hier mit den beiden neuen Herren vom Gut zusammenführte. Aber jetzt sind sie ihr gleichgültig. Mit ein paar halben Worten gibt sie Auskunft: Ja, dies ist die einzige Badestelle, sonst ist alles verschilft. Nein, die Herren stören sie nicht. Nein, das Wasser ist ungefährlich, keine Wasserpflanzen … Schon versinkt sie wieder in ihr Schweigen, weiß kaum noch, daß die beiden da sind. Sie sieht wieder in die Grashöhle hinein, die doch gleich magisch zergeht, so daß sie nichts mehr sieht. Die Sonne wärmt herrlich. Sie schiebt den Badeanzug wieder von der Brust fort, die Stimmen der beiden klingen verloren her aus dem Wasser – oh, selig!
    Sophie Kowalewski hätte mit aller List nicht klüger handeln können als jetzt, da sie ganz gedankenlos die beiden Herren Studmann und Pagel links liegenließ. Es ist nicht zu leugnen, diese beiden Herren hatten während der Bahnfahrt keinen allzu günstigen Eindruck von der Sophie bekommen, der leicht zu begeisternde Rittmeister mochte dies hilfreichePrachtmädel über den grünen Klee loben. Pagel wie Studmann kannten bis zum Überdruß diese gezierte Sprechweise der kleineren Lebemädchen, die die große Dame spielen wollen. Sie ekelten sich vor dieser zugleich eingetrockneten und aufgedunsenen Gesichtshaut, die immer nach Puder roch; sie fuhren nicht aus dem mondänen Berlin in den Frieden Neulohescher Felder, um sich ein solches Mitbringsel aufzuladen. Sie waren sehr höflich gewesen und sehr reserviert. Sie dachten etwas anders als der Rittmeister über den Abstand, den man von seinen Leuten wahren muß. Wenn sie Sophie ansahen, schoß ihnen nicht der Gedanke durch den Kopf: Schließlich ist sie bloß die Tochter vom Leutevogt – aber sie wollten nicht. Sie hatten nichts gegen das Mädchen, aber sie hatten sehr viel gegen einen nach Neulohe verpflanzten Berliner Nuttenbetrieb!
    Als darum Sophie diese Badegelegenheit so gar nicht ausnützte, die doch jeder Erfahrenen soviel Anreiz und Möglichkeiten geboten hätte, als sie so gar nicht auf die doch unter besonderen Umständen geschlossene Bekanntschaft pochte und nicht gesonnen schien, irgendwelche Folgerungen daraus zu ziehen, da sagte Studmann ganz vergnügt zu Pagel, als sie in das Wasser gingen: »Eigentlich sieht das Mädel ganz nett aus.«
    »Ja, komisch«, antwortete Pagel nachdenklich. »Mir ist sie neulich auch ganz anders vorgekommen: mehr à la Tauentzien.«
    »Haben Sie gesehen, Pagel?« fragte Studmann dann nach einer Weile. »Vollkommen dezenter Badeanzug.«
    »Ja«, stimmte Pagel zu. »Und nicht ein süßer Blick. Ich glaube, ich werde Frauen nie verstehen.«
    Mit dieser leichten Anspielung auf seinen jüngst erlittenen Schiffbruch hatte Pagel sich in die Fluten gestürzt, und nun waren ihnen fünf oder zehn Minuten oder gar eine Viertelstunde mit Schwimmen und Tauchen, mit stillem Treibenlassen und gesprächigem Seite-an-Seite-Stehen vergangen, Minuten, in denen sie sich beide stärker, frischer, bewußter fühlten als in den vergangenen Monaten und Jahren.
    Bis sie ein Lärm vom Ufer her aufhorchen ließ: die hell scheltende Stimme einer Frau, das unterdrückte Murmeln eines Mannes.
    »Das ist doch die Sophie!« meinte Studmann aufhorchend.
    »Ach, lassen Sie sie!« rief Pagel ärgerlich.

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