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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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schrecklichen Kater bekommen«, sagt er vorsichtig. »Und ich auch.«
    »Sagen Sie«, fängt sie wieder an, »vorhin, da an Ihrem Fenster – waren Sie darum so, weil ich erst fünfzehn bin und weil man ein Lump ist, wenn man sich mit einer Fünfzehnjährigen einläßt?«
    »Nein!« sagt er verblüfft. »Daran habe ich gar nicht gedacht.«
    »Sehen Sie!« ruft sie triumphierend. »Dann braucht mein Leutnant auch kein Lump zu sein.«
    Sie ist stehengeblieben, sie sind oft stehengeblieben auf diesem Weg durch das Dorf – es ist ja nach elf Uhr, um diese Stunde schläft in der Erntezeit alles. Sie hat seine Hand losgelassen, er spürt, daß sie etwas sagen möchte.
    »Nun?« fragt er.
    »Ich«, bittet sie stockend und doch mit einer verzweifelten, fest flehenden Hartnäckigkeit. »Ich möchte furchtbar gerne noch einmal mit Ihnen umkehren …«
    »Nein, nein«, wehrt er ganz leise ab.
    Da hat sie schon die Arme um seinen Hals geworfen, sie drückt sich an ihn, sie lacht und sie weint in einem Atem, sie überschüttet ihn mit ihren Küssen, sie möchte ihn verführen …
    Und unter dieser Verführung wird es ganz kalt in ihm, er drängt sie nicht zurück, er hält sie sogar lose in seinen Armen, damit sie nicht fällt. Er vergißt nicht wieder, daß sie ein halbes Kind ist … Sein Mund bleibt kalt, und sein Blut bleibt kalt, keine Flamme steigt mehr empor.
    Aber aus dem Dunkel wächst das Bild der andern, keiner behüteten anderen, keiner höheren Tochter, keiner Erbin – wahrhaftig nicht! Es gibt etwas anderes, denkt er plötzlicherschüttert, immer stärker erschüttert, aufgewühlt und angefaßt. Man kann durch den Schmutz gegangen sein und viel Schlimmes erlebt haben, und man muß doch nicht schmutzig und schlimm geworden sein. Sie, sie, sie hat mich geliebt, und sie war rein – aber ich habe es nicht gewußt! Und es scheint ihm so gleichgültig, was sie ihm da von Krankheit und Strich erzählt haben, es ist nicht wahr!
    Und während er all dieses flüchtig bedenkt, bedrängen ihn Weios Küsse, ihre Zärtlichkeiten immer weiter. Ach, wenn es ihr doch über würde, wenn sie es doch aufgäbe! denkt er angeekelt. Aber es ist, als machte sie die eigene Zärtlichkeit immer närrischer und toller, sie stöhnt leise, sie faßt seine Hand und drückt sie wieder gegen ihre Brust … Ich werde doch nicht noch grob werden müssen! denkt er besorgt.
    Da tönen Schritte aus dem Dunkel, schon ganz nahe … Blitzschnell läßt sie von ihm und gleitet gegen den nächsten Zaun, an dem sie mit von der Dorfstraße abgewandtem Gesicht stehenbleibt … Auch Pagel dreht sich halb ab …
    Und nun geht Herr von Studmann, das ewige Kindermädchen, dieses Mal das Kindermädchen, ohne es zu wissen, an ihnen vorüber. Er scheint durch das Dunkel nach ihnen zu spähen, ja, er rückt sogar an seinem Hut, er sagt höflich: »Guten Abend.«
    Pagel knurrt etwas, und vom Zaun kommt ein Laut – ist es Lachen? Ist es Weinen?
    Dann verhallen die Schritte.
    »Das war Herr von Studmann, Fräulein Violet«, sagt Pagel.
    »Ja, ich muß schnell nach Haus, meine Eltern werden jetzt schlafen gehen. Gott, wenn Mama in meinem Zimmer nachsieht!« Sie läuft eilig neben ihm her, sie stößt wütend hervor: »Und alles wegen gar nichts! So ein trauriger Mond!«
    »Ich denke, Sie waren bei Ihren Großeltern?« fragt Pagel, ein wenig spöttisch.
    »Ach, Quatsch!« ruft sie wütend. »Sie können mir ja leid tun, wenn Sie noch nicht kapiert haben, was ich gesucht habe!«
    Pagel antwortet nicht mehr, und auch sie schweigt nun. Sie erreichen die Villa. »Gottlob, sie sind noch unten!« ruft sie. Aber grade, wie sie es sagt, geht das Licht in des Rittmeisters Zimmer aus, und die schräg aufsteigenden bunten Fensterchen des Treppenhauses werden hell. »Los, das Spalier hoch! Vielleicht schaffe ich es noch!« ruft Violet.
    Sie laufen um das Haus herum.
    »Bücken Sie sich, ich steige Ihnen auf den Buckel!« ruft sie und lacht. »Das ist ja doch das einzige, wozu Sie taugen!«
    »Immer gerne zu Diensten«, erklärt Pagel höflich. Sie steht schon oben, angelt nach einer Spalierlatte.
    Eine Elfe bist du auch nicht, denkt Pagel, der merkt, wie sie ihn mit Vergnügen ihr volles Gewicht spüren läßt. Aber jetzt ist sie schon höher, er tritt in einen Busch, die Glyzinienranken rascheln, nun verschwindet der helle Schatten in der dunklen Fensterhöhle.
    Pagel sieht noch vier andere Fenster hell werden, er hört durch das offene Fenster den Rittmeister klagen, schimpfen

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