Wolf unter Wölfen
Vergnügen im Dreck liegenlassen, Herzschuß. Oder lieber noch Bauchschuß, daß ich ihr noch ein bißchen wasvorjammere. Nee, da ist Peter mir doch hunderttausendmal lieber! Du taugst nichts; außen hopphe, aber innen faul! Ich habe nie was für die mulmigen Äpfel übrig gehabt!
Aber so ruhig und sicher sich Wolfgang Pagel sonst vor ihr fühlte, wie überlegen er seine kleine, gierige Violet anschaute, mit einem konnte sie ihn doch in eine fast sinnlose Wut bringen: wenn sie sich körperlich vor ihm gehenließ. Drängte sie sich an ihn, markierte sie halb ironisch Zärtlichkeit und Leidenschaft, nun gut, es mochte hingehen, es war nicht angenehm, aber es war zu ertragen. (Obwohl die Rolle des Joseph vor der Potiphar immer etwas Lächerliches hat.) Sie war nun einmal wach gemacht worden, sie hatte nicht gelernt, sich zusammenzunehmen, sich etwas zu versagen.
Aber wenn sie mitten auf einem Weg durch die Felder nachlässig überlegen zu ihm sagte: »Gehen Sie einen Schritt voraus, Pagel. Ich muß mal aufs Töpfchen«, wenn sie sich beim Baden mit einer Ungeniertheit vor ihm auszog, als sei er ihre Großmutter – dann kam ein wilder Zorn über ihn. Am liebsten hätte er sie geschlagen, er beschimpfte sie maßlos, zitternd vor Erregung.
»Verdammt noch mal, Sie sind doch keine Hure!« schrie er.
»Und wennschon!« sagte sie und sah ihn spöttisch, amüsiert an. »Sie hätten ja doch keinen Bedarf.«
Oder aber: »Wie Sie wieder angeben! Ich denke, Sie sind in festen Händen? Warum regt Sie denn so was auf?«
»Verrottet! Verfault! Verdorben bis ins Mark!« schrie er. »Da ist kein Fleck an Ihnen, der nicht Dreck ist!«
»Flecken sind meistens Dreck«, erklärte sie kühl.
Es war vielleicht nicht einmal die Beleidigung seiner Männlichkeit, die ihn so maßlos aufbrachte, trotzdem solche Dinge jeden Mann, und noch dazu einen dreiundzwanzigjährigen, empören müssen. Es war vielleicht viel stärker noch eine ihn plötzlich überkommende panische Angst: Wohin gleitet sie ab? Gibt sie sich schon ganz verloren? Will sie bewußt in den Dreck? Ist dieser Fünfzehnjährigen schon alles zum Ekel?
Jeder anständige Mensch fühlt sich ein wenig für seinen Mitmenschen verantwortlich –: nur die Bösen lassen ihre Brüder ohne Warnung in den Sumpf laufen. Pagel fühlte sich für seine tägliche Gefährtin Violet mitverantwortlich. War sein Zorn verraucht, versuchte er mit ihr zu reden, zu warnen. Aber es war unmöglich, ihr näherzukommen. Sie heuchelte ein völliges Unverständnis, sie saß in einem Stacheldrahtverhau alberner, landläufiger Redensarten: »Alle Menschen sind so – man muß gemein sein, sonst wird man bloß schlecht behandelt.« Oder aber: »Finden Sie es etwa anständig, wie Herr Studmann vor Mama balzt, grade wo Papa erst abgereist ist – und ich soll anständiger sein?! So dumm!« – Oder: »Sie erzählen mir auch nicht, was Sie alles mit Ihrem Fräulein Petra aufgestellt haben, ehe Sie zerplatzt sind! Sehr anständig werden Sie da auch nicht gewesen sein. Da brauchten Sie nicht grade bei mir mit der Anständigkeit anzufangen – wenn ich auch bloß ein Mädchen vom Lande bin.« – Oh, sie konnte teufelsschlau sein! Mit einem plötzlichen Übergang: »Ist es wahr, daß es in Berlin Lokale gibt, wo die Mädchen ganz nackt tanzen? Und da sind Sie drin gewesen? Na also! Und Sie wollen mir hier erzählen, Sie fallen in Ohnmacht, wenn Sie mal ein Stückchen von mir sehen?! Sie sind ja lächerlich!«
Es war nichts zu machen, sie wollte einfach nicht. Hundertmal war Wolfgang Pagel drauf und dran, mit Herrn von Studmann oder der gnädigen Frau über das Mädchen Violet zu sprechen. Wenn er es doch nicht tat, so schwieg er nicht aus irgendeinem albernen Gefühl lebemännischer Diskretion, sondern viel eher, weil er sich sagte: Was sollen die Alten dabei machen, wenn sie auf mich Jungen schon nicht hört?! Mit Strafen und Predigten wird so was bloß schlimmer. – Vielleicht muß ich reden, wenn sie mal ausreißen will oder hier etwas passiert, aber solange alles seinen alten Trott geht, passiert ihr schon nichts. Mit irgendeinem von den Bengeln hier läßt sie sich bestimmt nicht ein – dafür fühlt sie sich viel zu sehr als großmächtige Erbin und möchtenichts von ihrem Nimbus als künftige Besitzerin einbüßen. Und wenn dieser Lebejüngling, der Herr Leutnant Fritz, wieder auftauchen sollte, so erfahre ich es sofort. Dann werde ich mir diesen Knaben einmal vorknöpfen und ihm meine Ansicht auf den
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