Wolf unter Wölfen
Zuchthäuslern?«
»Ist ’ne Prämie ausgesetzt?«
»So was, so was, na ja, heute ist Freitag!«
»Ausgerechnet, wo meine Frau mir ein Huhn gebraten hat.«
»Da kann ja jeder kommen und sagen, er ruft im Auftrag der Polizeidirektion an! Wer sind Sie denn überhaupt?!«
»Was meinen Sie, Inspektor, Stiefel? Oder kann ich in langer Hose kommen?«
»Fünfe ist bitter!«
Und das fürchterliche Wort: »Jetzt lebt der noch und weiß von nichts, den sie vielleicht schon in zehn Minuten umlegen!«
Etwas Grausiges stieg aus diesen Worten auf, Schuld und Mitschuld … Und während Wolfgang immer weitertelefonierte, dachte er an das, was er in dieser Sache verfehlt hatte. Es war nicht viel, Kleinigkeiten, kein vernünftiger Mensch konnte ihm, dem Unerfahrenen, einen Vorwurf machen, da so viel Erfahrene versagt hatten. Kleinigkeiten hatte er falsch gemacht … Aber Wolfgang Pagel, der noch vor einem Vierteljahr so bereit gewesen war, sich alle eigenen Sünden zu vergeben, ja, bei dem es gar keiner Vergebung bedurft hatte,Wolfgang Pagel dachte jetzt anders über diese Dinge. Nein, er dachte nicht, er fühlte anders. War es die Arbeit draußen oder das Erleben der letzten Zeit, war es das Wort in Minnas Briefen von dem Mannwerden – es war gleichgültig, ob andere noch mehr gesündigt hatten, er wollte sich nichts vorzuwerfen haben – nicht einmal wenig.
Die Gendarmerieposten reißen nicht ab, immer wieder klingelt der Apparat, immer wieder die Meldung, immer wieder die Ausrufe des Ärgers, der Überraschung, der Bereitschaft. Und dabei sieht er sie, die fünf; fünf Männer in Zuchthaustracht. Sie hocken versteckt wie Wild in den Wäldern zwischen Neulohe und Birnbaum, sie haben kein Geld, keine Waffe, keine übermäßige Intelligenz. Aber sie haben eines, was sie von den andern Menschen unterscheidet: sie haben die Hemmungslosigkeit, zu tun, was sie wollen.
Wolfgang Pagel denkt daran, daß es eine Zeit gab, nicht lange her, da er stolz von sich dachte: Mich bindet nichts; ich kann tun, was ich will; ich bin frei …
Jawohl, Wolfgang Pagel, jetzt verstehst du es: du warst frei, hemmungslos zu sein wie ein Tier! Das Menschentum liegt nicht darin, zu tun, was man will, sondern zu tun, was man muß.
Und während Wolfgang weiter und immer weiter meldet, dreißigmal, fünfzigmal, siebzigmal, sieht er die gesunde Lebenskraft ausholen zum Schlage gegen die kranke. Plötzlich kommen ihm die Witze über des Teufels Husaren so schal vor, so frech ihr Zuchthäuslerlied! Er sieht die fünfzig, die hundert Gendarmen auf ihre Räder steigen, auf vielen Wegen streben sie alle einem Ziele zu: Neulohe. Er sieht die Beamten auf der Polizeidirektion in Frankfurt, auf Dutzenden von Polizeistationen klingeln jetzt die Telefone, die Morseapparate klappern. In den Zollämtern der Grenzwachen setzen die Beamten die Mützen auf, sie schnallen besonders sorgfältig um, sie sehen ihre Pistolen nach: der Tod geht um!
Der Tod geht um! Fünf Menschen entschlossen zu allem – und in einer Zeit, die sich über nichts einig zu sein scheint, inder alles zerfressen, verfault zusammenstürzt, in dieser Zeit ist das Leben sich doch noch immer gegen den Tod einig! Das Leben ist es, das alle Straßen verstellt, überall seine Augen hat. In den Zufahrtsstraßen der großen Städte stehen jetzt die Polizisten und mustern jeden Passanten – ein Halstuch, eine Hose können verräterisch sein! Die Elendsquartiere, die Winkel, in denen das Verbrechen haust, werden schärfer bewacht als je. In den kleinen Städten gehen die Polizisten die Wege hinter den Häusern, dort, wo sie sich nach den Gärten, nach den Hofplätzen öffnen. Die Wanderer auf den Landstraßen, die Kutscher der Wagen, die Chauffeure der Lastautos werden gewarnt. Ein ganzer Landstrich, von der polnischen Grenze bis nach Berlin hin, kommt in Bewegung. Schon arbeiten in den Druckereien die Schnellpressen, aus denen die Steckbriefe hervorgleiten, die Aufrufe, Signalements, die heute nachmittag noch an die Säulen, an die Wände geklebt werden. Über den Strafakten der Liebschner, Kosegarten, Matzke, Wendt, Holdrian sitzen die Beamten; aus dem Bericht über vergangene Straftaten suchen sie den Hinweis auf mögliche neue. Sie prüfen die Blätter, aus den alten suchen sie die neuen Spuren zu erraten: Wo kann er sich hingewandt haben? Wer ist seine Freundschaft? Von wem bekam er während seiner Haftzeit Briefe?
Es ist vielleicht nicht mehr das Leben in seiner alten Gewalt und Frische, zu viel
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