Wolf unter Wölfen
Büro.
Der Oberwachtmeister Marofke war durch die versammelten Landjäger gegangen, mit seinem lächerlichen Spitzbauch, seinen dünnen Beinchen in tadellos gebügelten Hosen, mit seinem gesträubten Katerschnurrbart und seinen rötlichvioletten Hamsterbäckchen. Der Oberwachtmeister sah nicht rechts noch links, er blickte starr vor sich hin – bei jedem Schritt erzitterten seine Bäckchen, so fest setzte er die Füße auf. Aber wenn Herr Marofke auch nichts sah, seine Ohren konnte er nicht verschließen, sie hörten, wie ein Landjäger erstaunt fragte: »Was ist denn das für einer?«
»Na, Mensch! Der hat sie doch türmen lassen!«
»Ach so! Wegen dem können wir jetzt nachts im Walde rumliegen!«
Marofke ging grade, ohne eine Miene zu verziehen, auf die Schnitterkaserne zu. Er setzte sich nieder auf die Bank, auf der er so oft zum Ärger der Neuloher Bevölkerung gesessen hatte, er sah wieder starr vor sich hin.
Drinnen in der Kaserne war der Lärm des Einpackens und Aufbrechens; ärgerlich, gereizt schalten die Wachtmeister; zornig, wütend antworteten die Gefangenen – Marofke stand nicht auf. Er wußte, es konnte nichts fehlen, keine Decke war gegen Tabak vertauscht worden, kein Laken zu Lunte versengt, keine Spaten auf dem Felde vergessen. Es war alles in bester Ordnung, nur fünf Mann waren abgängig. Und wenn sie selbst heute noch wieder eingefangen wurden (woran Marofke nicht glaubte), das Odium würde auf ihm haftenbleiben: ihm waren fünf Mann weggelaufen, seinetwegen war ein Kommando aufgelöst worden. Das wusch ihm keiner wieder ab!
Ja doch, jawohl, da war sein Bericht an die Zuchthausverwaltung. Er hatte Scharfblick bewiesen, er hatte um die Ablösung grade dieser fünf gebeten – aber auch das würde ihnnicht rein waschen! Grade die Schreibhengste auf dem Büro, die seinen Antrag abgelehnt hatten, würden alles tun, um dieser Eingabe Gewicht zu nehmen. Sie war ja völlig unbegründet, auf solche Eingabe konnte man keine Rückschickung verfügen, die Leute hätten sich mit vollem Recht beschwert! Und wenn der Herr Marofke den Leuten wirklich so sehr mißtraute, so hätte er ihnen nicht von der Pelle gehen dürfen, er hätte Tag und Nacht neben ihnen stehen müssen, sie nicht einem unerfahrenen Hilfswachtmeister anvertrauen dürfen – ach, hundert Stricke würden ihm gedreht werden! Die Kollegen mochten ihn nicht, sie würden alle Schuld auf ihn schieben – und dann dazu noch der Bericht von der Gutsverwaltung hier, vom Oberlandjägermeister –!
Er war nun so lange im Beruf, der Oberwachtmeister Marofke, er wußte, pensionieren würden sie ihn wegen dieser Sache nicht können, aber sie würden ihn nicht befördern! Er hatte mit dieser Beförderung zum Herbst gerechnet, Michaeli schied der Hauptwachtmeister Krebs aus, er hatte mit diesem Posten gerechnet, er hätte ihn haben müssen! Es war nicht die liebe Eitelkeit, es war nicht nur der verständliche Ehrgeiz, höher zu kommen, der ihn diese Beförderung hatte ersehnen lassen, es war noch etwas anderes. Er hatte ein Mädchen daheim, eine Tochter, ein etwas altjüngferliches Geschöpf mit Brille, das er sehr liebte. Dieses Mädchen wäre für sein Leben gerne Lehrerin geworden – von einem Hauptwachtmeistergehalt hätte er sie vielleicht aufs Seminar schicken können, jetzt würde sie Kochen lernen müssen und Mamsell werden! Lächerlich und zum Kotzen war dieses Leben, weil ein junger Bursche einen Wachtmeister im Dienst anquatschte, liefen fünf Mann weg – und darum konnte er seiner Tochter ihren Lebenswunsch nicht erfüllen!
Der Oberwachtmeister sieht auf. Neben ihn auf die Bank hat sich der junge Pagel gesetzt. Er streckt ihm mit einem Lächeln das Zigarettenetui hin und sagt dabei: »Idioten!«
Marofke möchte die Zigarette zurückweisen. Aber es tut ihm ja doch gut, daß ihm dieser junge Mensch vom Büro hernachgegangen ist, daß er sich vor aller Leute Augen zu dem in Ungnade Gefallenen auf die Bank setzt und mit ihm rauchen will. Er meint’s ja gut, sagt er sich und nimmt dankend eine Zigarette. Er kann ja nicht wissen, was für Folgen seine Dummheit hat. Alle machen Dummheiten.
»Ich werde dafür sorgen, Ober«, sagt Pagel, »daß ich den Bericht an Ihre Direktion mache. Und der soll aussehen, daß Sie zufrieden sind!«
»Schön von Ihnen«, dankt Marofke. »Aber es lohnt nicht, daß Sie sich darum Ihre Stellung hier verderben, weil’s mir nämlich nicht viel helfen wird. – Aber passen Sie auf, was ich Ihnen jetzt sage.
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