Wolf unter Wölfen
wurde in den vergangenen Jahren zerstört, das Leben selbst wurde krank – es ist vielleicht manches nur Gewohnheit von früher her in dem, was nun geschieht. Die Maschine knarrt, stöhnt, ächzt – aber sie läuft noch, sie holt noch einmal aus, sie faßt zu – wird sie erfassen?
6
Wie lange hatte Wolfgang Pagel am Telefon gestanden? Eine Stunde? Zwei Stunden? Er wußte es nicht. Als er aber aus dem Schloß zum Beamtenhaus hinüberging, sah er schon dieersten Wirkungen seiner Telefonate mit Augen: an der Wand des Beamtenhauses lehnten Räder über Räder, die Landjäger standen in Gruppen vor der Tür, auf den Wegen. Sie rauchten, sie redeten, ein paar lachten. Und immer neue kamen an, mit »hallo« oder einem abwartenden Stillschweigen begrüßt, Witze wurden gerissen.
Drinnen im Büro fand Pagel die Leute ernster. Karten lagen auf dem Tisch, die gnädige Frau, der alte Geheimrat, Herr von Studmann sahen gespannt darauf. Ein Oberlandjägermeister zeigte mit dem Finger. Marofke stand am Fenster, er sah bleich und verfallen aus, sichtlich war es ihm nicht gut ergangen.
»Die polnische Grenze, Polen scheidet ganz aus«, sagte der Oberlandjägermeister. »Keiner von den fünfen kann nach den bisherigen Ermittlungen Polnisch, außerdem ist Polen kein Arbeitsfeld für Verbrecher solchen Schlages. Für mich ist sicher, daß sie nur die Absicht haben, sich möglichst schnell nach Berlin durchzuschlagen. Natürlich in Nachtmärschen auf Nebenwegen. Es sind – bis auf einen – Zuhälter, Betrüger, Hochstapler, solche Kerle lockt nur Berlin …«
»Aber …«, fing Oberwachtmeister Marofke an.
»Ich bitte, mich nicht zu unterbrechen!« sagte der Oberlandjägermeister scharf. »Zweifelsohne werden die Leute sich bis zur Nacht im Wald versteckt halten. Mit einem Teil meiner Mannschaften werde ich versuchen, die Kerle da zu fangen – obwohl ich das für ziemlich aussichtslos halte, die Wälder sind zu groß. Unser Hauptaugenmerk müssen wir nachts auf die Nebenstraßen und die abgelegenen Dörfer richten. Auf ihnen werden sie versuchen, vorwärts zu kommen, in ihnen sich Zivilsachen und Essen besorgen … Vielleicht fassen wir sie schon diese Nacht. In dieser Nacht sind sie hier noch in der Nähe …«
»Erzählen Sie das bloß meiner Frau nicht, Verehrtester!« rief der Geheimrat.
»Wenn irgendein Punkt zwischen hier und Berlin vollkommen sicher vor den Brüdern ist, so ist es Neulohe«, erklärteder Oberlandjägermeister lächelnd. »Das ist ohne Frage. Hier, wo wir unser Hauptquartier haben. – Nein, die kleinen abseitigen Dörfer, für die wird es schlecht, aber wir werden für Bewachung sorgen. Die allein liegenden Höfe – aber wir werden sie warnen. Und wenn wir die fünf auch nicht zu sehen kriegen, ungefähr wissen wir doch immer, wo sie sind. Ich rechne mit sechzig Kilometer Nachtmarsch im Durchschnitt, in der ersten Nacht weniger, dann etwas mehr. Müssen sie sich mit Essenbesorgen aufhalten, wird es wieder weniger. Ich nehme an, sie werden in der ersten Nacht, statt westlich zu marschieren, nach Norden gehen, um diesem unruhigen Bezirk auszuweichen. Allerdings liegt da wieder Meienburg …« Ein Gedanke kam ihm. Er sah Marofke an, er fragte: »Wissen Sie, ob einer von den fünfen in Meienburg Verbindungen hat: Verwandte, eine Braut, Freunde?«
»Nein!« sagte der Oberwachtmeister.
»Was heißt nein?!« tadelte der Oberlandjägermeister scharf. »Wissen Sie es nicht, oder haben die Leute keine Verbindungen?«
»Die Leute haben keine Verbindungen«, sagte der Oberwachtmeister böse.
»Soweit Ihnen das bekannt ist, natürlich«, spottete der Oberlandjägermeister. »Ihnen ist ja nicht sehr viel bekannt, nicht wahr? – Also dann danke! Wir brauchen Sie hier nicht mehr, Herr Oberwachtmeister; lassen Sie mir noch Meldung machen, ehe Sie mit Ihrem Kommando abmarschieren.«
»Zu Befehl!« sagte der Oberwachtmeister, legte die Hand an die Mütze und ging aus dem Büro.
Alle sahen ihm nach, aber keiner sagte ihm ein Wort zum Abschied – auch Herr von Studmann nicht. Wolfgang sah von einem Gesicht zum andern. Der Geheimrat fing an zu brummen: »Ach wie bald, ach wie bald schwindet Schönheit und Gestalt …«
Der Oberlandjägermeister lächelte wohlwollend.
Die gnädige Frau sagte: »Er hat mir von Anfang an einen unangenehmen Eindruck gemacht …«
Herr von Studmann meinte: »Unser Herr Pagel ist anderer Ansicht …«
»Einen Augenblick Entschuldigung«, sagte Pagel und ging rasch aus dem
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