Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
Vom Netzwerk:
noch »Herr Räder« sagen wollen, aber sie hat es nicht über die Lippen gebracht.) Sie fährt fort: »Ein Mensch, der so auf sich hält wie Sie …«
    Sie schaut ihn abwartend an. Langsam löst er den Blick von dem Kleidungsstück und erwidert ihren Blick. Wieder dieses Hochziehen der Lippen von den Zähnen – er hat sie durchschaut, sie kommt sich gedemütigt vor!
    »Verzeihung, gnädige Frau, ich glaube, ich halte nicht mehr viel auf mich, darum brauche ich auch kein Geld mehr.« Er sieht sie prüfend an, er scheint von der Wirkung seiner unverständlichen Worte befriedigt. Er denkt nach, dann erklärt er: »Am zweiten Oktober werde ich der gnädigen Frau den Brief senden, mit der Post. Gnädige Frau brauchen nichts dafür zu bezahlen.«
    »Übermorgen –?« fragt sie.
    Sie weiß, er hat ihr nichts Gutes versprochen, eine dunkle Drohung klingt aus seinen Worten, etwas, das sie nicht abwenden kann. Sie will ihm antworten, aber er macht eine Bewegung, und die gnädige Frau schweigt sofort stille, da der Diener es wünscht.
    »Gnädige Frau müssen nicht fragen. Ich sage doch nur, was ich will. Das gnädige Fräulein ist sehr schlecht zu mir gewesen, ich habe sie nie verraten, aber sie hat ihren Vater aufgehetzt, mich rauszuschmeißen … Sie haben gesagt, ichsoll mich nicht erniedrigen. Ich weiß, Sie haben es mir nur gesagt, damit ich Ihnen etwas erzähle. Wenn Sie das gnädige Fräulein Violet« (er sagt das mit abgrundtiefer Ironie), »wenn Sie das gnädige Fräulein Violet bis übermorgen früh nicht aus den Augen lassen, dann passiert nichts …«
    »Sie ist fortgefahren …« flüstert die Mutter.
    Nach der Tochter die Mutter – irgendwie geraten sie beide in den Bann dieses Mannes. Was ist er? Ein Narr, ein alberner, nicht übermäßig tüchtiger Diener, nur mit Spott hat die gnädige Frau ihn ertragen. Aber jetzt denkt sie nicht daran, über ihn zu spotten, sie nimmt ihn völlig ernst. Es sind keine Schrullen mehr, kein Aberwitz – der Geruch von Gefahr, Drohung und Brand, etwas Düsteres, das er allein erst weiß …
    »Sie ist fortgefahren …«, hat sie geflüstert.
    Er sieht sie an, dann nickt er kurz und bestimmt mit dem Kopf. Er sagt: »Heute abend ist sie zurück. Und dann nicht aus den Augen lassen, gnädige Frau, bis übermorgen früh …«
    Er wendet sich wieder seiner Packerei zu. Sie versteht sofort, daß diese Bewegung endgültig ist.
    »Alles Gute, Hubert«, sagt sie plötzlich. »Ihre Papiere und Ihr Geld holen Sie sich vom Büro?«
    Er antwortet nicht mehr. Er ist in ein peinliches Zusammenlegen seines Jacketts vertieft, ein graues, fischiges Gesicht, ohne erkennbaren Ausdruck. Es ist dieses Bild, das sie von ihm mitnimmt, sie wird es viele Male in ihrem künftigen Leben vor Augen sehen – das letzte Bild von Hubert Räder. Sie wird es nicht vergessen …

3
    Als die gnädige Frau aus der Kammer des Dieners Räder tritt, schlägt sie die Tür dem Mädchen Armgard fast an den Kopf. Armgard kreischt und will fliehen, aber Frau Eva ist sehr zornig. Sie hält das Mädchen am Arm fest und teilt ihm kurz und zornig seine Entlassung mit: aufs Büro, Papiereund Geld, sofort die Sachen packen, der Milchwagen kann sie mitnehmen!
    Damit läßt Frau Eva die Köchin Armgard stehen, hört gar nicht auf ihre Flennerei. Der Gedanke, sich vor dem Diener Räder gedemütigt zu haben, ist schlimm genug, aber dabei Zuhörer gehabt zu haben, und nun gar solche Zuhörerin, das ist unerträglich. Fort – und aus den Augen! Eine grimmige Befriedigung erfüllt sie, »er« hat den Diener herausgeworfen, sie die Köchin – alles zerfällt – was soll das für ein Haushalt in den nächsten Tagen werden?! Was wird die siebzehnjährige Lotte für ein Essen zusammenkochen, wenn sie daneben sieben Zimmer besorgen muß?! Der Herr von Prackwitz wird sich wundern!
    Frau von Prackwitz geht in die Küche und eröffnet Lotte die Sachlage. Sieben Zimmer, das kalte Rinderfilet, grüne Bohnen, Soße ist noch da, Spargelsuppe – und wahrhaftig, da steht noch der Abwasch von gestern abend! »Kinder, wascht ihr denn nicht jeden Abend ab, wie ich es euch gesagt habe?! Warum denn nicht?«
    Worauf Lotte prompt in Tränen ausbricht. Schluchzend versichert sie, daß sie von Spargelsuppe keine Ahnung habe, daß sie es nie schaffen würde, daß sie sich nicht anschreien ließe, daß sie lieber auch gleich ginge …
    Frau Eva möchte über das nachdenken, was sie von Hubert Räder erfahren hat, was sie mit ihrer Tochter zu tun, was

Weitere Kostenlose Bücher