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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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wir wohl in Ostade sein.«
    »Also los!« sagt der Rittmeister noch einmal.
    Die Glasscheibe wird wieder zugeschoben, der Wagen fährt an.
    Nun erst schilt der Rittmeister zu der geschlossenen Glasscheibe ärgerlich: »Trottel!« Und dann sanfter zu seiner Tochter: »Für viele Dinge gibt es eine anständige und eine unanständige Bezeichnung. Du sagst auch nicht: ich fresse,sondern du ißt. So sagt ein anständiger Mensch nicht für küssen jenes andere unanständige Wort …«
    Violet dachte einen Augenblick nach. Dann sagte sie, ihren Vater vergnügt anfunkelnd: »Ich versteh, Papa. Das ist so: Wenn du guter Laune bist, sagst du Scheibenhonig, und wenn du schlechter Laune bist, sagst du das Wort, das ich nie sagen darf, nicht wahr, Papa?«
    Der Rittmeister sprach bis Ostade kein Wort mehr. Violet wurde keiner Anrede mehr gewürdigt, sie war sehr zufrieden.
    Nun fuhren sie schon längs der Oder. Etwas auflebend, gab der Rittmeister dem Chauffeur die Weisung, vor dem »Goldenen Hut« am Alten Markt zu halten. Im »Goldenen Hut« verkehrten die Offiziere. Man saß dort am Vormittag, las Zeitungen, trank ein Glas Sherry oder Portwein, die Pioniere begrüßten die Kameraden von der Artillerie, die Jünger der heiligen Barbara erfuhren das Neueste aus der Pionierkaserne –: es war, außerhalb des Kasinos, ein neutraler Boden. Der Großgrundbesitz verkehrte natürlich auch im »Goldenen Hut«.
    Der Rittmeister sorgte dafür, daß das neue Auto nicht auf den Hof fuhr, sondern vor dem Hotel halten blieb.
    »Wir fahren doch gleich weiter«, sprach er zum Chauffeur Finger.
    Aber er hatte keineswegs die Absicht, gleich weiterzufahren; er wollte, daß der Glanz des neuen Wagens jeden Ankömmling sofort begrüßte.
    In der Gaststube war keiner, wenigstens keiner, der in Frage kam für den Rittmeister. Bloß ein paar Zivilisten. Obwohl der Rittmeister selber Zivil trug, rechnete er sich nicht zu den Zivilisten.
    Es war kurz nach elf Uhr. Um diese Zeit, vielleicht auch erst um halb zwölf, pflegten die Offiziere zu kommen. Der Rittmeister sammelte alle illustrierten Zeitschriften, alle Witzblätter um sich. Eine Unterhaltung mit seiner Tochter kam nicht in Frage, sie hatte ihn zu schwer gekränkt. Fürsich bestellte er ein Glas Portwein, für Violet bestellte er eine Tasse Fleischbrühe – und versenkte sich in den Lesestoff.
    Es war absolut ekelhaft, daß dieses Mädchen ihm nun auch wieder den heutigen Tag verdorben hatte. Man konnte in Neulohe seines Lebens einfach nicht froh werden! Der Rittmeister erwog drei Minuten lang ernstlich den Gedanken, Neulohe aufzugeben und wieder zum Militär zurückzukehren. Er brauchte nur diesen Putsch abzuwarten, und alle Möglichkeiten standen ihm offen! Beruhigt, daß er erst übermorgen seine Entscheidung werde treffen müssen, vertiefte der Rittmeister sich in den »Kladderadatsch« und die neuesten Ausfälle gegen die Regierung.
    Violet saß so, daß sie aus dem Fenster auf den Marktplatz sehen konnte. Für eine Stadt, die morgen einen großen Putsch zu erwarten hatte, der die Verfassung und Regierung eines Sechzigmillionenvolkes völlig ändern würde, sah der Marktplatz überraschend friedlich aus. Ein paar Bauernwagen mit Kartoffeln oder Kohl waren aufgefahren, ein paar Frauen gingen mit ihren Marktaschen ab und zu – nichts Auffälliges, nichts Verändertes, vor allem aber keine Uniformen.
    »Du, Papa, man sieht ja heute überhaupt keine Uniformen«, rief Violet.
    »Die haben heute etwas anderes zu tun, als spazierenzulaufen«, antwortete der Rittmeister scharf. »Im übrigen lese ich.«
    Doch ließ er nach wenigen Augenblicken seine Zeitung sinken und sah ebenfalls auf den Platz hinaus. Mit einem Blick auf die Uhr rief er den Kellner: »Wo bleiben die Herren Offiziere –?«
    »Sie müßten schon hier sein«, antwortete der Kellner, nachdem er auf die Uhr gesehen hatte.
    Von dieser klaren Auskunft vollkommen befriedigt, bestellte der Rittmeister ein zweites Glas Portwein. Violet bat auch um eines, aber der Rittmeister sprach drohend: »Bleib du bei deiner Fleischbrühe!«
    Leise lächelnd ging der Kellner.
    Violet fühlte sich infam blamiert. Nie wieder konnte sie in den »Goldenen Hut« kommen. Papa war direkt gemein. Mit flimmernden Augen starrte sie auf den Platz. Im Auto saß der Chauffeur Finger, sie fragte: »Wo willst du denn eigentlich noch hinfahren, Papa?«
    Der Rittmeister fuhr zusammen: »Ich –? Gar nicht will ich hinfahren! Wieso –?«
    »Du hast doch dem Chauffeur

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