Wolf unter Wölfen
Offiziere. Der Leutnant kennt sie alle, er grüßt nur kurz und geht gleich zum Richter, der mit dem einzigen Unbekannten, einem »richtigen« Zivilisten, flüstert.
Der Herr Richter sieht eigentlich auch aus wie ein Zivilist, lang, schwarz, den »Bleistift Gottes« nannten ihn die jungenDachse unter sich. Er schreibt ewig alles auf, er ist irgend etwas Taktisches, sicher hat der Kerl nie Pulver gerochen. Der Leutnant kann ihn nicht ausstehen, aber der Richter kann den Leutnant wohl ebensowenig ausstehen.
Darum winkt er dem Leutnant auch recht schroff, in Abstand zu warten, er flüstert weiter mit dem dicken Zivilisten. Der Leutnant dreht sich um, er besieht sich gelangweilt den Raum.
Es ist die Hinterstube einer Kneipe, sie hat etwas Ödes, Fahles, und etwas Ödes, Fahles, Angegangenes haben auch die hier wartenden Männer. Es ist eine Gemeinheit, daß er hier nun noch stehen und warten muß. Er fingert an der Pistole in der Tasche herum, er wird aus dem ersten Wort Richters hören, ob die hier etwas wissen von ihm oder nicht. Dann erreichen ein paar Worte des dicken Zivilisten sein Ohr, er hat sie nicht genau verstanden, aber das eine Wort könnte »Meier« geheißen haben und das andere »Spitzel«. Nun gibt es sehr viele Meiers auf der Welt, aber im gleichen Augenblick ist der Leutnant fest davon überzeugt, daß nur dieser eine Meier gemeint sein kann. Dieses Schwein ist auf die Welt gekommen, ihm Schwierigkeiten zu machen! Hätte er ihn nur im angehenden Waldbrand schmoren lassen! Das hatte man von seinen guten Taten!
Eigentlich ist es Unsinn, länger zu warten! Schon ist alles klar und entschieden! Raus und Schluß! Wozu sich noch angrobsen lassen?!
Der Leutnant überlegt, wo in diesem Ausschank die Toilette liegt – aber davon hätten die Kameraden nur Schwierigkeiten. Er muß weiter fortgehen, irgendwo in den Wald, wo Unterholz ist – nein, am besten dahin, wohin er es ihr versprochen hat. Es soll ihr nicht vergessen und geschenkt sein –!
»Ich bitte, Herr Leutnant!«
Und er atmet auf! Eine Galgenfrist vielleicht nur, aber noch ein Weilchen Zeit, Atem zu schöpfen, der alte zu sein, an eine Zukunft zu glauben. Aufmerksam hört er zu, wie ihm Herr Richter auseinandersetzt, daß seit dem heutigenfrühen Morgen jede Verbindung mit der Reichswehr abgerissen ist. Niemand kommt in die Kasernen, niemand gelangt aus den Kasernen, auf den Straßen ist kein Offizier zu sehen, bei telefonischen Anrufen gibt es nur ausweichendes Geschwätz …
Ach, nun zeigt es sich, wie unsicher alles Vorbereitete ist! Eine Handvoll Leute, die Reste offiziell längst aufgelöster Freikorps, dazu ein Landsturm von ein paar tausend Mann – stark, wenn die Reichswehr mitmacht, eine lächerliche Horde, wenn sie sich entgegenstemmt! Man hatte fest mit der Reichswehr gerechnet. Natürlich war nie etwas Offizielles besprochen; man hatte ja alles Verständnis für die Schwierigkeiten, mit denen die Kameraden zu kämpfen hatten! Aus den Trümmern des Heeres, aus den Ruinen der Revolution war ein neues Heer aufzubauen, unter den argwöhnischen Augen der ehemaligen Feinde, die immer noch feindlich geblieben waren. Alles Risiko wollten die Außenseiter gerne tragen. Aber der verabschiedete Offizier hatte mit dem aktiven gesprochen: Die einen hatten geredet, die andern hatten zugehört. Es war nicht ja gesagt worden, aber auch nicht nein, nicht hü und nicht hott – aber man hatte doch das Gefühl gehabt: wenn wir nur unsere Sache machen, die werden nicht dawider sein.
Und nun plötzlich, aus heiterem Himmel, am Vortage der Entscheidung dieses unbegreifliche Verstummen, eine Kälte, völlig unverdient, ein betontes Zurückziehen, fast schon eine Absage. Der Herr Richter spricht weiter, er macht es so dringlich, daß vor allem dieses Rätsel gelöst werden muß, das Dunkel gelichtet – man kann doch nicht die Leute gegen die Reichswehr führen, wenn sie Feind ist!
Der schwarze, lange Herr Richter, der Bleistift Gottes, spricht so eindringlich – der Leutnant wird doch verstehen, was gewünscht wird?
Der Leutnant hört mit ernstem, aufmerksamem Gesicht zu. An den richtigen Stellen nickt er und sagt auch ein »Ja«, aber er hört gar nicht zu, er ist wieder von diesem Mädchen besessen. Der wilde, stechende Haß erfüllt ihn wieder: Kanndenn eine so große, so wichtige Sache durch solch ein kleines, verliebtes Tier in Gefahr gebracht werden?! Alles soll umsonst sein, was Hunderte von Männern durch Monate vorbereitet haben, für das
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