Wolf unter Wölfen
Vergraben der Waffen beobachtet haben kann?«
»Das – glaube ich nicht, sonst hätte ich das Lager sofort verlegt.«
»Ist jemand während des Vergrabens in die Nähe der Posten gekommen?«
Der Leutnant will nachdenken, was zu antworten ihm dienlich wäre. Aber die Fragen folgen so rasch aufeinander, der Blick liegt so eiskalt beobachtend auf ihm, daß er ohne Besinnung, ohne die Folgen abzuwägen, hastig antwortet: »Jawohl.«
»Wer?«
»Herr von Prackwitz und seine Tochter.«
»Kannten Sie die beiden?«
»Nur vom Ansehen.«
»Was haben Sie ihnen gesagt?«
»Ich habe sie weitergeschickt.«
»Sind die beiden ohne weiteres gegangen?«
»Jawohl.«
»Sie haben keine Aufklärung verlangt, was auf ihrem Grund und Boden geschah?«
»Herr von Prackwitz ist alter Offizier.«
»Und die Tochter –?«
Der Leutnant schwieg. Der eiskalte Blick lag weiter auf ihm. Das ist ja Polizei! dachte der Leutnant. So fragt man doch nur Verbrecher aus! Haben wir denn jetzt einen Schnüffler bei unserer Abteilung –? Ich habe mal so was gehört …
»Und die Tochter –?« fragte der Dicke beharrlich.
»Hat kein Wort gesprochen.«
»Sie kannten sie nicht näher?«
»Nur vom Sehen.«
Dieser Blick, dieser verdammte, bohrende Blick! Wenn man eine Ahnung hätte, was der Kerl wirklich weiß – aber so, man tappt vollkommen im dunkeln. Mit einer einzigen Antwort kann man sich festgelogen haben – und dann! Und dann –? Nichts mehr!
»Sie sind sicher, daß keiner von den beiden Ihrem Graben später nachspioniert hat?«
»Vollkommen sicher.«
»Warum?«
»Ich hätte es am Boden gesehen.«
Zum erstenmal nahm wieder Herr Richter das Wort. »Ich glaube, daß man des Herrn Rittmeisters von Prackwitz und seiner Tochter sicher sein kann. – Übrigens sind die beiden jetzt in der Stadt – ich sah sie in den ›Goldenen Hut‹ gehen.«
»Man könnte sie befragen«, meinte der Dicke nachdenklich und ließ seinen eiskalten Blick nicht von dem Leutnant.
»Jawohl, befragen Sie sie! Ich komme sofort mit! Kommen Sie, wir gehen!« schrie der Leutnant fast. »Was ist los? Bin ich ein Verräter? Habe ich geschwatzt?! Kommen Sie doch mit, Sie, Herr Polizist! Jawohl, ich komme grade aus dem ›Goldenen Hut‹, ich habe mit dem Rittmeister und seiner Tochter an einem Tisch gesessen, ich habe …«
Er brach ab, er sah seinen Peiniger haßerfüllt an.
»Nun, was haben Sie –?« fragte der Dicke, ganz ungerührt von diesem Ausbruch.
»Aber ich bitte Sie, meine Herren!« rief der Bleistift Gottes beschwörend. »Mißverstehen Sie die Situation doch nicht, Herr Leutnant! Niemand will Sie kränken. Wir haben Grund zu der Annahme, daß ein Waffenlager verraten worden ist. Es ist hier ein Auto der Ententekommission gesehen worden. Wir wissen noch nicht, um welches Lager es sich handelt. Wir befragen alle Herren, denen Waffenlager anvertraut sind. Es besteht doch eine Möglichkeit, daß dies der Grund zu dem seltsamen Verhalten unserer Kameraden drüben ist …«
Der Leutnant atmete tief auf. »Also fragen Sie!« sagte er zu dem andern, und doch war ihm, als habe der andere sogar dies Aufatmen gesehen.
Völlig ungerührt sagte der Dicke: »Sie sprachen vom ›Goldenen Hut‹. ›Ich habe …‹, sagten Sie und brachen ab.«
»Aber ist das wirklich nötig?« rief Herr Richter verzweifelt aus.
»Ich habe mit Herrn Rittmeister Portwein getrunken, vielleicht habe ich das sagen wollen. Ich weiß es nicht mehr. – Warum gehen wir nicht hin?« rief er noch einmal, aber diesmal nicht verzweifelt, sondern höhnisch, weiter das Spiel mit dem Tode spielend, das doch schon entschieden war, er wußte es wohl. »Ich gehe gerne mit! Es macht mir nichts aus. Sie können Herrn von Prackwitz in meiner Gegenwart befragen!«
»Und seine Tochter …«, sagte der Dicke.
»Und seine Tochter …«, wiederholte der Leutnant, aber mit sehr leiser Stimme.
Eine Stille entstand, eine drückende, lange Stille.
Was wollen sie denn? dachte der Leutnant verzweifelt. Wollen sie mich verhaften? Sie können mich doch nicht verhaften, ich bin doch kein Verräter. Ich habe doch meine Ehre noch.
Der Dicke flüsterte in das Ohr von Herrn Richter, ohne sich zu genieren. Auf dem Gesicht von Herrn Richter lagwieder, aber nun verstärkt, der Ausdruck abwehrenden Ekels. Er schien etwas zu verneinen, abzuwehren …
Plötzlich erinnerte sich der Leutnant eines ehemaligen Kameraden, dem der Oberst vor der Front die Achselstücke heruntergerissen hatte. Ich trage ja gar keine
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