Wolf unter Wölfen
Achselstücke, dachte er verloren, das kann er bei mir nicht machen.
Er sah durch den Raum, es waren zehn Schritte bis zur Tür, niemand von den andern Herren stand im Wege. Er machte zögernd einen Schritt auf die Tür zu.
»Einen Augenblick noch!« befahl der Dicke herrisch. Er sah alles mit diesen eiskalten Augen, auch wenn er nicht hinsah.
»Ich stehe mit meiner Ehre für das Waffenlager ein«, rief der Leutnant, fast zitternd. Die beiden Herren wandten ihm die Gesichter zu. »Und mit meinem Leben«, sagte er noch, aber schwächer.
Sie sahen ihn an. Ihm war, als mache der Dicke mit dem Kopf eine leise, verneinende Bewegung, aber Herr Richter sagte lebhafter: »Gut, gut – keiner mißtraut
Ihnen
, Herr Leutnant.«
Der Dicke schwieg. Er verzog das Gesicht nicht, aber das unverzogene Gesicht sagte:
Ich
mißtraue dir. Der Leutnant dachte: Nicht von dir will ich gerichtet werden, nicht auf deine Art …
Er fragte: »Darf ich jetzt gehen?«
Herr Richter sah den Dicken an, der Dicke sagte: »Noch ein paar Fragen, Herr Leutnant …«
Hat der Kerl denn gar kein Schamgefühl?! dachte der Leutnant verzweifelt. Wäre ich doch erst auf der Straße! Aber er blieb stehen und sagte: »Bitte«, als käme es ihm nicht darauf an.
Und wieder ging es los: »Sie kennen einen Feldinspektor Meier aus Neulohe?«
»Flüchtig. Er war vorgeschlagen worden, ich habe ihn abgelehnt.«
»Warum?«
»Er gefiel mir nicht, er kam mir unzuverlässig vor.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht mehr – ich hatte den Eindruck. Ich glaube, er hatte viel Weibergeschichten.«
»So, Weibergeschichten … Wegen Weibergeschichten hielten Sie ihn für unzuverlässig –?«
Der starre eiskalte Blick lag voll auf dem Leutnant.
»Jawohl.«
»Kann dieser Meier das Vergraben der Waffen beobachtet haben?«
»Ausgeschlossen!« rief der Leutnant eilig. »Da war er ja längst fort aus Neulohe!«
»So – da war er fort? Warum war er denn fort?«
»Ich weiß es wirklich nicht. Man müßte eventuell Herrn von Prackwitz fragen.«
»Glauben Sie, daß irgend jemand aus Neulohe noch mit diesem Meier in Verbindung steht?«
»Ich habe wirklich keine Ahnung«, antwortete der Leutnant. »Vielleicht eines von seinen Mädchen.«
»Sie kennen die Mädchen nicht –?«
»Ich bitte doch sehr!« sagte der Leutnant mühsam.
»Es wäre möglich gewesen, nicht wahr – daß Sie einen oder den andern Namen kennen?«
»Nein.«
»Also haben Sie keinerlei Vermutung, wie dieser Meier von dem Waffenlager erfahren haben könnte?«
»Aber er kann doch nichts davon wissen!« rief der Leutnant verblüfft. »Er ist seit Wochen aus Neulohe fort!«
»Und wer kann davon wissen?«
Wiederum Schweigen, Stille.
Der Leutnant zuckt wütend die Achsel, Herr Richter sagt begütigend: »Es wird nämlich behauptet, daß dieser Herr Meier heute früh im Auto der Kontrollkommission gesessen hat. Aber es ist nicht sicher, daß er es war.«
Zum erstenmal verrät der Dicke Ärger, ärgerlich sieht er den geschwätzigen Bleistift Gottes an.
Aber der sagt abschließend: »Wir wollen es jetzt genug sein lassen mit dem Fragen. Es scheint mir wenig dabei herauszukommen. Sie kennen Ihren Auftrag, Herr Leutnant. Ich erwarte Sie also in einer Stunde hier. Vielleicht können Sie erfahren, was wir hier nicht herausbekommen.«
Herr Richter macht eine verabschiedende Bewegung, der Leutnant verbeugt sich leicht und geht zur Tür.
Ich gehe zur Tür, denkt er, merkwürdig erleichtert. Und dabei zittert er doch, daß der Dicke, dieser schreckliche Mensch, noch ein Wort sagen, ihn noch einmal aufhalten könnte.
Aber kein Wort wird hinter ihm laut, das störende Frostgefühl in seinem Rücken verliert sich, als schwäche die Entfernung die Eiseskälte jenes Blickes. Er grüßt die Kameraden rechts und links. Mit einer gewaltsamen Willensanstrengung bleibt er noch einmal an der Tür stehen und brennt sich eine Zigarette an. Dann legt er die Hand auf die Klinke, er öffnet, er schließt die Tür, er geht durch das Schankzimmer – und nun endlich steht er draußen auf der freien Straße.
Es ist ihm, als sei er aus langer, quälender Kerkerhaft in die Freiheit entlassen.
6
Als der Leutnant wieder auf der Straße stand, wußte er, nie würde er in jenen Raum zu Herrn Richter zurückkehren, nie den erwarteten Bericht erstatten, nie mehr zu Kameraden Kamerad sagen. Ehre verloren, alles verloren, klang es in ihm. Jawohl, die Ehre, die ihm gemeinsam mit den andern Offizieren gehörte, die hatte er verloren.
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