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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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Er hatte wie ein Feigling gelogen, um sich dem Richterspruch der andern zu entziehen. Aber nicht, weil er den Tod fürchtete – den Tod hatte er sich schon zuerkannt, sondern weil er auf seine eigene Art sterben wollte – ihr zum Gedächtnis!
    Der Leutnant hat die Hände in die Taschen gesteckt; die Zigarette zwischen den Lippen, schlendert er durch den grauen, staubfein nieselnden Mittag dem abseits liegendenTeile der Stadt zu, wo die Villen der Offiziere liegen. Genau überlegt, ist es ein völliger Unsinn, noch diese Demütigung auf sich zu nehmen, bei dem Mädchen Frieda zu horchen, was ihre Herrschaft geredet hat. Er wird Herrn Richter nie das Ergebnis seiner Ausforschungen übermitteln. Mögen die sehen, wie sie mit ihrem Putsch zurechtkommen, er kümmert sich nur noch um seine eigenen Angelegenheiten!
    Wie der Leutnant da scheinbar sorglos und zeitlos in seinem verschlissenen Zivil durch die Straßen bummelt, auch einmal in einen Laden tritt und sich ein halbes Hundert Zigaretten von einer sehr viel besseren Sorte als gewöhnlich kauft, hat er eine senkrechte, tiefe Falte zwischen den Augenbrauen, gerade über der Nasenwurzel: – eine Grübelfalte. Es ist nicht ganz leicht für einen jungen Mann, der in seinem ganzen Leben immer lieber etwas getan als nachgedacht hat, sich klarzuwerden, was eigentlich mit ihm los ist, was er will und was er nicht will.
    Tief überrascht hat ihn eben doch der Gedanke, wie gleichgültig ihm der Putsch geworden ist, für den er Monate und Monate gearbeitet, fast ohne Geld, alles entbehrend, was junge Männer sonst lieben. Sehr überrascht hat es ihn doch, wie gleichgültig ihn das Fortgehen von den Kameraden läßt, zu denen er nun nicht mehr gehört, deren Gesellschaft ihm doch immer wichtiger war als die Liebe eines jeden Mädchens.
    Er hat viel ertragen müssen an diesem Vormittag, Dinge, die er sonst nie ertragen hätte, die ihn zum Toben gebracht hätten: den Portweinguß des Rittmeisters, das argwöhnische Ausfragen des lächerlichen Friedrich, den fast unverhüllten Ekel von Herrn Richter und zum Schluß die schmachvolle Vernehmung durch den dicken Kriminalisten. Aber auch dies alles ist schon wieder abgeglitten von ihm; er, der sonst eine angetane Kränkung durch Jahre nicht vergessen konnte, der rachsüchtig ist, muß sich Zwang antun, wenn er sich dieser nahen Ereignisse überhaupt noch erinnern will.
    Es ist seltsam, Mensch, aber es ist doch, als wäre ich schon gar nicht mehr recht dabei. Als ginge mich diese Welt nichtsRechtes mehr an. Wie ein Sterbender, dem alles versinkt … Ja, jetzt fällt es mir wieder ein: wenn die Menschen sterben, so fangen ihre Hände ruhelos auf der Bettdecke herumzusuchen an. Die einen sagen, der Sterbende gräbt sich sein Grab, und die andern: er sucht etwas, an dem er sich festhalten kann auf dieser Welt. Ist es auch so bei mir? Entgleitet mir alles, und ich finde nichts mehr auf der Welt, mich daran zu halten? Aber ich bin kein Sterbender, ich bin nicht die Spur krank – wissen es denn schon die Zellen in mir, daß sie sterben müssen? Kann Tod nicht nur eine Vernichtung durch Krankheit sein, sondern auch Zerstörung des Leibes durch einen Gedanken?! Bin ich denn wirklich ein Verräter?!
    Er bleibt stehen, er sieht sich um, als wachte er aus einem bösen Traum auf. Er ist auf einem weiten, öden Platz, festgestampft durch die Schuhe vieler hundert Soldaten, eine gelbliche, lehmige, trostlose Fläche, aus der kaum ein Unkraut sich hervorwagt. Am andern Ende des Platzes sind die grellen, gelben, nackten Kasernenbauten, von einer hohen, gelben Mauer umgeben, deren First mit Glasscheiben gespickt ist. Das fahlgrau gestrichene große Eisentor ist geschlossen, der Posten mit Stahlhelm, den Karabiner umgehängt, geht auf und ab, um sich ein bißchen zu erwärmen.
    Der Leutnant sieht dieses Bild, wiederum trostlos wie ein schlimmer Traum; eine finstere Entschlossenheit steigt in ihm auf, etwas Böses, sehr Dunkles. Er geht quer über den Platz, er denkt: Nun will ich doch einmal sehen!
    Er stellt sich mitten in den Weg des Postens und sieht ihn herausfordernd an. »Nun, Kamerad?« sagt er.
    Er kennt den Mann, und der Mann kennt ihn. Der Leutnant hat ihm und seinen Kameraden manchmal eine Lage geschmissen. Sie haben dann und wann beisammengesessen; ja, als es auf einem ländlichen Tanzboden einmal eine Holzerei gab, haben sie Seite an Seite den Saal geräumt. Sie sind also ganz gute Bekannte, aber jetzt tut der Mann so, als wüßte er von

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