Wolf unter Wölfen
hat ihn ohne Antwort gelassen, sich aber wieder hingesetzt und ein neues Glas Portwein getrunken, während er leise und böse vor sich hin murmelt. Aber einen Augenblick später sieht der Rittmeister wieder aus dem Fenster, ein Gedanke hat von seinem Hirn Besitz ergriffen: Er hat doch ein Auto gehabt! Er hat es doch hier vorm Hotel halten lassen! Wo ist das Auto geblieben –? Sie haben es ihm gestohlen!
Der Rittmeister wirft einen vorsichtigen Blick durch das Lokal. Da sitzen sie und essen, aber zu trauen ist ihnen nicht. Er begegnet so vielen Blicken – warum starren ihn alle so an? Wissen sie vielleicht schon, daß er bestohlen ist, und warten nur darauf, daß er es merkt?
Der Rittmeister kehrt mit seinem Blick an den eigenen Tisch zurück, leise schwankt die Portweinflasche wie ein Halm im Winde. Das Glas fährt fort, und plötzlich ist es wieder ganz nahe und sehr groß. Der Rittmeister benutzt diesen Augenblick: Er neigt den Hals der Portweinflasche über das Glas, aber nur eine klägliche Neige tröpfelt heraus.
Suchend sieht er sich nach dem Kellner um, aber im Augenblick hat der Kellner die Gaststube verlassen. Der Rittmeister benutzt dies, er steht auf. Nachdenklich hält er vor dem Garderobenständer, an dem Mütze und Mantel hängen, neben Jackett und Hut von Violet.
Was ist mit Violet? fällt ihm ein.
Aber eine neue Welle von Trunkenheit schwemmt den Gedanken weg. Er hat auch schon wieder vergessen, daß er seinen Mantel anziehen wollte, er geht aus der Gaststube, vorsichtig steigt er ein paar Stufen hinunter. Noch eine Tür – und nun ist Herr von Prackwitz auf der Straße.
Ein feiner Regen fällt. Barhaupt, in einem grau in grau gemusterten Anzug steht der Rittmeister draußen und sieht die Straße auf und ab. Wohin soll er gehen? Dann meint er, am Ende der Straße den Tschako eines Schutzmanns blinken zu sehen, achtsam, sehr grade, aber mit ein wenig weichen, unsicheren Knien geht er auf den Schutzmann zu.
Am Ende der Straße angelangt, sieht er, daß der blinkende Schutzmannstschako ein blinkendes Messingbecken ist, das über einem Rasierladen hängt. Der Rittmeister streicht nachdenklich über sein Kinn: die Stoppeln knirschen. Er ist heute früh nicht zum Rasieren gekommen. So tritt er jetzt in den Laden ein.
Der Barbierladen sieht etwas anders aus, als der Rittmeister erwartete: Es stehen ein paar Tische und Stühle darin, es gibt keine Spiegel. Aber es ist dem Rittmeister recht, er setzt sich gerne ein wenig. Er stützt den Kopf in die Hand, und sofort versinkt er wieder in den trüben See der Trunkenheit.
Nach einer Weile merkt er, daß jemand ihm die Hand auf die Schulter gelegt hat. Er sieht hoch und sagt mit schwererZunge in ein bleiches, junges Gesicht hinein: »Rasieren, bitte!«
Hinter ihm lacht es schallend los, der Rittmeister möchte zornig werden: Hat der etwa über ihn gelacht? Er will sich umdrehen.
Der junge Mensch sagt ganz freundlich: »Ein bißken einen gekümmelt, wat, Herr Graf? Rasieren möchten Sie sich lassen? Das können Sie nachher auch haben. Jetzt sind Sie erst mal in einer Kneipe …«
»Wir rasieren Sie ganz gerne! Wir balbieren Sie liebend gerne über den Löffel!« schreit die freche Stimme hinter dem Rittmeister.
»Stille biste!« zischt der Bleiche. »Herr Graf, hören Sie bloß nicht auf den, der hat ja einen Zacken! Darf ich Ihnen wat zu trinken bringen?«
»Portwein«, murmelt der Rittmeister.
»Jawoll, natürlich, Portwein, wird jemacht! Bloß, daß wir hier keinen Portwein haben. Aber der Korn ist erstklassig! Ick darf mir doch auch einen mitbringen? Und für meinen Freund auch? Na also! Wir sind hier so gemütlich ganz unter uns, da können wir doch mal einen schmettern! Herr Wirt, Aujust, drei große Korn, und stell die Flasche man gleich auf den Tisch. Der Herr hat uns eingeladen – nicht wahr, Sie haben uns doch eingeladen, Herr Graf –?«
Der Rittmeister sitzt halb schlafend zwischen den beiden. Manchmal fährt er hoch, Tatendrang erfaßt ihn: Er muß sein Auto suchen!
Die beiden beruhigen ihn. Gleich werden sie mit ihm suchen gehen, er soll man erst noch einen trinken. – »Der Korn ist doch knorke, was, Herr Graf?«
Der Rittmeister von Prackwitz sinkt wieder in sich zusammen.
Als der Kellner im »Goldenen Hut« das Verschwinden seines Gastes bemerkt, beunruhigt er sich nicht sofort. Er wird auf die Toilette gegangen sein, denkt er und beeilt sich, mitseinen Mittagsgästen weiterzukommen. Nachher wird er gleich einmal
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