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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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wirklich ist. Du hast ganz recht: Ich bin ein Lügner. – Tjüs, Friedelchen, und nichts für ungut!«
    Er streckt ihr die Hand hin. Sie nimmt sie zögernd, ihr Zorn ist verflogen, seine Verlegenheit hat sie angesteckt. »Gott, Fritz«, sagt sie und weiß gar nicht recht, was sie zu seinen unverständlichen Sprüchen sagen soll. »Du bist so komisch. Ich war ja nur wütend, weil du dir gar nichts aus mir machst …«
    Er macht eine abwehrende Bewegung.
    »Na schön, ich sage ja nichts. Aber wenn du es gerne erfahren willst, ich will dir auch erzählen, was der Herr Oberst heute früh …«
    Er läßt ihre Hand los: »Nein, danke, Friedel. Das ist nicht mehr nötig. Es ist«, grübelt er schon wieder, »alles wirklich verdammt komisch. Das geht mich nun auch nichts mehr an. Na, tjüs, Friedel. Sieh, daß du bald unter die Haube kommst, es ist das beste für dich …«
    Und damit geht er. Er vergißt sogar, sie noch einmal zum Abschied anzusehen. Auch das Mädchen Frieda ist schon völlig für ihn versunken, er hört nicht, was sie ihm nachruft. Tief in Gedanken geht er den Kellergang entlang, die kleine Treppe hinauf, den fliesenbelegten Weg durch den Vorgarten auf die Straße. Er trägt seine Mütze in der Hand, es ist ihm völlig gleichgültig, ob ihn andere sehen und erkennen. Augenblicklich ist er sich der Existenz anderer auf dieser Erde nicht klar bewußt. Er hat mit sich selbst genug zu tun.
    Freilich dann, an der nächsten Straßenecke, da muß er denn doch noch einmal aus der stillen Welt seiner Gedanken auf diesen windigen, gefährlichen Stern zurückkehren; denn eine Hand legt sich auf seine Schulter, und eine Stimme sagt zu ihm: »Einen Augenblick bitte, Herr Leutnant.«
    Der Leutnant blickt hoch und sieht in das eisige Auge des dicken Kriminalisten.

7
    Ohne den Kellner im »Goldenen Hut« wäre die hingesunkene Violet noch lange auf dem Fußboden der Gaststube liegengeblieben. Der Rittmeister von Prackwitz war zu nichts zu gebrauchen. Einmal wollte er dem Leutnant nach und sich mit ihm schießen; nun rief er die Gäste zu Zeugen auf, wie schmählich der Herr seine Tochter behandelt hätte … Er kniete neben Violet, mit seinem Taschentuch wischte er ihr den Mund ab, er rief klagend: »Violet, nimm dich zusammen – du, eine Offizierstochter!«
    Und aufspringend verlangte er Portwein für sich –: »Aber nicht aus diesem Glas, dieses Glas ist beschmutzt, es muß zerbrochen werden!« Er zerbrach es. »Wo ist meine Frau? Meine Frau ist nie da, wenn sie wirklich gebraucht wird! Ich rufe Sie zu Zeugen an, meine Herren, daß meine Frau nicht hier ist –!«
    Der Kellner ließ den Chauffeur hereinrufen. Zu dreien hoben sie Violet auf, sie wollten sie aus dem Haus tragen, in den Wagen setzen, heimfahren lassen. Als Violet aufgehoben wurde, fing sie zu schreien an – sie schrie pausenlos hintereinander, kein Wort, einen irren Klagelaut, wie ein Tier. Die Männer hätten sie beinahe fallen lassen. Violet wurde auf ein Sofa gelegt, auf eines jener schrecklichen Wachstuchsofas mit weißen gerieften Nägeln, von denen alles abrutscht. Da lag sie ineinandergefallen, ein Reisender versuchte, ihr den Rock über den Knien zurechtzuziehen. Sie sah nichts, sie hörte nichts, ihre Augen waren geschlossen. Sie war kein junges Mädchen mehr, sie war nichts mehr, sie war ein Ding aus Fleisch, das schrie, das schrecklich schrie …
    Der Rittmeister saß zerfahren an einem Tisch, den fast weißen Kopf in die Hände gestützt. Er hielt sich die Ohren zu, er murmelte: »Nehmt sie weg! Laßt sie nicht mehr schreien! Ich kann es nicht anhören! Bringt sie ins Krankenhaus! Meine Frau soll kommen!«
    Der letzte Wunsch war der einzig erfüllbare: Der ChauffeurFinger fuhr los, mit dem glänzenden Horch, dem schon wieder vergessenen, neuesten Spielzeug des großen Kindes, die gnädige Frau zu holen.
    Die Hoteliere erschien, ein Zimmer im zweiten Stock wurde vorbereitet, nach einem Arzt wurde telefoniert. Schließlich wurde Violet hinaufgetragen. Sie schrie immer weiter. Der Rittmeister weigerte sich, mit seiner Tochter hinaufzugehen. »Ich kann das Schreien nicht hören«, sagte er. Er hatte erreicht, daß jetzt eine ganze Portweinflasche vor ihm auf dem Tisch stand. Er hatte die Rettung der Lebensuntüchtigen gefunden: den Alkohol, der Flucht vor den Sorgen ist, der Vergessenheit bringt – und ein hundertmal schwereres Erwachen am nächsten Tage.
    Mit einem Stubenmädchen zusammen zog die Wirtin Violet aus, sie schrie. Sie schrie

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