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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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Mädchen so schreit, derart in Krankheit und Bewußtlosigkeit flieht, dieses blutjunge Ding aus guter Familie, so muß eine panische Angst es beherrschen vor etwas Bösem. Vielleicht nur vor einer Auseinandersetzung, vielleicht vor etwas Schlimmerem. Der Arzt weiß, wie sehr die Menschen in der Angst vor den dunklen Gaben des Lebens das Nirwana suchen, und er weiß auch, daß ein tiefer, traumloser, alles vergessen machender Schlaf die Kraft schenken kann, vorher Unerträgliches zu ertragen.
    Still zieht der Arzt die Spritze aus der Nadel. Er hat der Kleinen zwei, drei Stunden Ruhe schenken wollen, er wird ihr lieber langen, tiefen Schlaf geben. Ruhe aus, versäume die schlimme Stunde!
    Er zieht eine andere, stärkere Spritze auf. Noch ehe alle Lösung in den Arm gedrungen ist, bricht das Schreien ab. Violet von Prackwitz legt den Kopf auf die Seite, ihr Körper streckt sich, einen Arm schiebt sie unter den Kopf, sie schläft ein.
    »So«, sagt der Arzt zur Wirtin, »jetzt wird sie zehn, zwölf Stunden fest schlafen. Also, wenn die Mutter da ist, rufen Sie mich an.« Er geht.
    Es ist kurz nach halb zwei.
    Anderthalb Stunden später kommt Herr Finger mit Frau Eva an. Jetzt ist es drei Uhr. Die Essenszeit ist vorüber, die Wirtin hat Zeit, auch der Kellner hat ein wenig Zeit.
    Mancherlei bekommt Frau Eva zu hören, von einem unbekannten jungen Mann, von einem ausgeschwenkten Portweinglas, von einer Auseinandersetzung. »Fritz, ach Fritz!« – hat die nun so fest schlafende Tochter gerufen, der Herr Gemahl hat ein bißchen getrunken, auf nüchternen Magen, und nun ist er fort und noch nicht zurück. Nein, er hat nicht hinterlassen, wohin er gegangen ist. Der Arzt meint, es ist ein Nervenschock, er wird gleich angerufen werden … Ja, Hut und Mantel hat er hängenlassen, zwei Stunden ist er jetzt mindestens weg, ob er vielleicht zu einem Bekannten gegangen ist –?
    Bruchstückweise hört Frau von Prackwitz dies, aber einen rechten Vers kann sie sich nicht darauf machen. Sie ist ein tätiger Mensch, ihre Familie ist in einer schlimmen Lage, der Mann angetrunken herumirrend im Regen, die Tochter in einer unbekannten Gefahr, doch tief schlafend –. Sie möchte etwas tun, ändern, bessern. Aber sie muß tatenlos neben dem Bett sitzen und auf einen Arzt warten, der natürlich auch nichts sagen kann.
    Sie steht am Fenster, sie sieht auf den trostlosen, verregneten Hotelhof, die Teerpappendächer glänzen matt. Der Hausdiener schmiert die Räder seines Packwagens. Mit unendlicher Langsamkeit, mit Pausen zwischen jedem Handgriff, zieht er ein Rad von der Achse, lehnt es gegen die Wand. Er holt eine Blechbüchse mit Schmiere, stellt sie neben die Achse, zieht die Achse an. Er holt einen flachen Holzspan, nimmt mit dem Span etwas von der Schmiere aus der Büchse, sieht das Zeug an – und fängt langsam an, die Achse einzuschmieren …
    Und damit vertrödeln wir unser Leben! denkt Frau Eva bitter. Es war also doch eine Liebesgeschichte – Fritz, ach Fritz! – Ich habe recht gehabt! Aber was nützt es mir, daß ich recht hatte – und vor allem, was nützt es ihr?
    Frau Eva dreht sich um, sie betrachtet die Schläferin. Eine stürmische Ungeduld erfüllt sie. Sie möchte die ruhende Tochter bei den Schultern packen, wachrütteln, befragen, raten, beraten, etwas tun! Aber an den matten Schläfen, an dem tiefen, ein wenig rasselnden Atem spürt sie, daß alles Rütteln umsonst wäre, genauso wie der einzige, der nun noch Auskunft geben könnte, wie Achim sich ihr entzogen hat.
    Warum ist Studmann nicht hier? denkt sie zornig. Wozu ist er verläßlich, wenn er nicht da ist, sobald man seine Verläßlichkeit einmal wirklich braucht? Ich kann nicht herumlaufen in der Stadt, um nach Achim zu suchen, ich kann nicht in jede Kneipe gucken, ich kann nicht einmal die Bekannten anrufen. Vielleicht ist er gar nicht betrunken, und ich blamiere ihn bloß.
    Aber nun hat sie endlich eine Idee, ihr ist ein Einfall gekommen. Rasch läuft sie die Treppen hinunter, sie gibt dem Chauffeur Finger den Auftrag, langsam durch die Straßen der Stadt zu fahren und nach dem Rittmeister auszuschauen. Vielleicht irrt sie sich, aber ihr scheint, Herr Finger hat sie ein wenig bedenklich angesehen. Sie ist sich noch immer nicht ganz klar darüber, ob Herr Finger ein richtiger Chauffeur oder mehr ein Beauftragter der Lieferfirma ist, der auf den unbezahlten Wagen zu achten hat und der plötzlich eine Rechnung präsentieren wird. Jedenfalls muß ihm das

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