Wolf unter Wölfen
knurrt der Dicke unzufrieden und zahlt. »Hätte ich das gewußt, hätte ich mir kein Bier gekauft. Zweihundertzweiundvierzig Millionen! Sie sehen, was das für einen Zweck hat, dem Mädchen Geld zu geben, davon wird sie auch nicht glücklich. Alles bloß Theater!«
»Ich habe da auch noch Briefe liegen, die ich wegholen möchte.«
»Briefe! Was denn für Briefe? Sie wollen bloß weg.«
»Also schön, bleiben wir sitzen. Dann trinke ich eben für mein Geld ’ne Flasche Wein. – Ober …«
»Halt!« sagt der Dicke. »Wo ist das?«
»Was –?«
»Wo das Mädchen wohnt?«
»In der Neustadt, Festungspromenade. Keine zwanzig Minuten hin.«
»Vorhin haben Sie gesagt, keine halbe Stunde hin und zurück. Was sind denn das für Briefe? Liebesbriefe?«
»Ich werde meine Liebesbriefe bei einem Mädchen aufheben, was?«
»Also gehen wir«, sagte der Dicke, trank aus und stand auf. »Aber das sage ich Ihnen, wenn Sie mir Geschichten machen, wie vorhin bei der Kaserne …«
»Das haben Sie also auch gesehen –?«
»Ich stoß Sie nicht bloß vor die Brust – ich nehme den Bauch, daß Sie nie wieder gradegehen können!«
Etwas flammt auf in dem eiskalten Blick, drohend wird der Leutnant angesehen. Aber diesmal wirkt es nicht auf ihn, er lächelt bloß.
»Ich mache schon keine Geschichten«, sagt er beruhigend. »Und übrigens habe ich, scheint mir, nicht mehr viel gradezugehen, wie? Drohen hat bei so einem wie ich eigentlich wenig Zweck, was?«
Der Dicke zuckt die Achseln, aber er schweigt, und schweigend gehen die beiden nebeneinander durch die verregneten, menschenleeren Straßen der Stadt.
Der Leutnant möchte überlegen, wie er von seinem Peiniger loskommt, er weiß von keinem Mädchen, er weiß nichts von Briefen in der Neustadt. Aber er hat gedacht, hier draußen müßte es leichter sein, auszureißen, irgendwie diesen Schnüffler abzuschütteln, um das zu tun, was getan werden muß, ohne neue Demütigung, ohne quälende Aufsicht. (Werde ich denn auch wirklich Mut genug haben – dafür?)
Aber es wird nicht so leicht sein, diesen Wachhund zu täuschen. Obwohl der Mann anscheinend ganz gleichgültig neben ihm herschlendert, der Leutnant weiß wohl, was diese Hand immer in der Hosentasche bedeutet. Er weiß, warum der andere so nahe neben ihm geht, daß bei jedem Schritt Schulter die Schulter streift. Macht er nur die geringste überraschende Bewegung, die Faust des andern wird nach ihm langen, mit diesem zermürbenden, mutlos machenden Griff. Oder aber es wird ein-, zweimal knallen, hier mitten auf den Straßen der Stadt, und dann wird wieder etwas über einen »Fememord« in den Zeitungen stehen.
Nicht so! Nicht so! denkt der Leutnant fieberhaft aufgeregt, und er versucht, sich die Ortsverhältnisse aller Kneipen auf ihrem Wege vorzustellen, wo etwa die Möglichkeit besteht, von den Toiletten über den Hof zu entkommen. Aber er kann sich nicht auf seine Aufgabe konzentrieren, sosehr er sein Hirn zwingen will, es verweigert ihm den Dienst …
Immer wieder kommt ihm das Bild von Violet von Prackwitz dazwischen, sie liegt bewußtlos, hat der Kellner gesagt. Eine grimmige Freude erfüllt ihn –:
Jetzt liegst du schon bewußtlos – von meinen bißchen Drohungen. Aber du sollst erst sehen, wie dir dieses Leben schmecken wird, wenn ich meine Drohung wahr gemacht habe … Ach, ich will an die Kneipen denken. Also, jetzt kommen wir gleich an der »Feuerkugel« vorbei …
Ach, der Leutnant, der Leutnant – er ist wie getränkt von diesem Mädchen! Jetzt, knapp vor seinem Tode, bekommt der Flüchtige noch einen Lebensinhalt, dieser Mann, der hundert Weibergeschichten gehabt, der nie geliebt hat, entdeckt den Haß – ein Gefühl, für das zu leben sich lohnt! Er malt sich aus, wie es sein wird, wenn sie ihn sieht, er meint in seinen Ohren ihre Schreie zu hören. Sie muß ja dazukommen, es kann gar nicht anders sein, er wünscht es zu stark. Die Wünsche der Sterbenden gehen in Erfüllung, denkt er – und fährt zusammen.
»Was ist los?!« fragt der Dicke völlig wach.
Die Wünsche der Sterbenden gehen in Erfüllung, denkt der Leutnant wiederum, von einer starken Freude erfüllt. Und sagt laut: »Da, der Herr von Prackwitz!« Und boshaft: »Sie wollten ihn ja wohl sprechen. Bitte sehr!«
Ihr Weg nach der Neustadt hat die beiden in die alten, längst geschleiften, viel zu eng gewordenen Festungsanlagen geführt. Die Stadtväter haben aus Wall und Graben eine Promenade für die Bürger geschaffen. Da, wo sie
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