Wolf unter Wölfen
Schlosses. Auf der können Sie beinahe ganz rund ums Schloß gehen, in der Höhe des ersten Stocks, und in alle Fenster schauen, ohne gesehen zu werden. – Ja, so würde ich es machen«, schließt Pagel mit einem gewissen Nachdruck.
Studmann starrt ihn verwundert an. »Aber warum in aller Welt?!« ruft er. »Was versprechen Sie sich davon? Was glauben Sie, das ich sehen werde …«
»Hören Sie, Studmann«, antwortet Pagel plötzlich sehr ernsthaft. »Ich kann Ihnen gar nichts sagen. Ich weiß nichts, und ich verstehe nichts, aber ich würde es so machen.«
»Aber …«, protestiert von Studmann. »Solch nächtliche Spioniererei …«
»Erinnern Sie sich noch der Nacht, als wir uns bei Lutter und Wegner trafen?« fragt Pagel lebhaft. »Damals hatte ich auch das Gefühl, es war eine besondere Nacht, eine Schicksalsnacht, wenn man so sagen darf. Warum soll es schließlich so etwas nicht geben – eine Nacht, in der sich alles entscheidet –? Heute habe ich dies Gefühl wieder. Eine schlimme Nacht, eine böse …«
Er sieht in die Nacht hinein, als könne er gewissermaßen ihr Gesicht entdecken in der Schwärze, ihr böses, lauerndes Gesicht. Aber davon kann natürlich keine Rede sein. Er empfindet nur eine leicht durchwehte, tropfende Dunkelheit.
»Na also, Herr von Studmann«, schließt Pagel plötzlich.»Machen Sie’s gut. Ich muß wieder zu meinem Rittmeister. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Pagel«, antwortet Herr von Studmann und starrt dem wieder ins Haus gehenden Pagel erstaunt nach, denn derartige mystische Anwandlungen liegen Herrn von Studmann wenig. Er hört, wie die Haustür zufällt und abgeschlossen wird. Dann erlischt das Außenlicht an der Villa, und er steht im Dunkeln. Mit einem kleinen Seufzer nimmt er seinen schweren Handkoffer hoch und macht sich auf den Weg zum Beamtenhaus. Er beschließt, erst einmal fleißig um das Schloß zu horchen und zu spähen, ehe er dem Pagelschen Ratschlag folgt. Dieses nächtliche Einsteigen in fremden Besitz scheint ihm doch recht bedenklich. –
Der junge Pagel steht auf der Diele der Villa und lauscht in das stille Haus.
Die seltsame Stimmung, die ihn seit seinem Halbschlaf am Krankenbett umfangen hält, will nicht abfallen von ihm. Ein Blick auf die Uhr zeigt, daß er kaum fünf Minuten mit Studmann zusammen war. Es ist gleich drei Viertel eins. Es kann nichts geschehen sein, er hat immer die Haustür im Auge behalten, er hat ihr ganz nahe gestanden: niemand kann sich eingeschlichen haben. Das Haus ist still.
Und doch sagt ihm sein Gefühl, daß etwas geschehen ist.
Langsam, lautlos – so langsam und lautlos, wie man sich manchmal im Traum bewegt – steigt er die Treppe hinauf. In der Tür von Violets Zimmer erscheint Frau Evas weißes, geängstigtes Gesicht. Er nickt ihr kurz zu, er sagt leise: »Alles in Ordnung.«
Er geht in des Rittmeisters Zimmer.
Er sieht auf den ersten Blick: das Bett ist leer. Das Bett ist leer!
Er steht ganz still, er sucht mit den Augen das Zimmer ab, es ist niemand darin, die Fenster sind verschlossen. Was würde Marofke tun? denkt er und steht noch immer still. Aber die Antwort auf diese Frage ist nur negativ: Marofke würde nichts Übereiltes tun.
Die Tür des Badezimmers kommt in sein Blickfeld. Er stößt sie auf, macht Licht: Auch das Badezimmer ist leer. Pagel geht wieder zurück, er tritt auf den Gang hinaus.
Die Tür von Violets Zimmer steht jetzt weit offen, Frau Eva geht dort ruhelos auf und ab. Sie bemerkt ihn sofort, sie geht auf ihn zu, ihr ganzes Wesen ist fieberhafte Unruhe.
»Was ist los, Herr Pagel? Es ist etwas geschehen, ich sehe es Ihnen doch an!«
»Ich will mir einen Kaffee kochen, gnädige Frau«, lügt Pagel, »ich bin todmüde.«
»Und mein Mann –?«
»Alles in Ordnung, gnädige Frau.«
»Ich bin so in Angst«, spricht sie fieberhaft. »Lieber Herr Pagel, nach dem, was der Arzt sagte, sollte sie jetzt aufgewacht sein, und sie ist aufgewacht, ich spüre es. Aber sie rührt sich nicht, bei allem, was ich ihr sage. Sie tut weiter so, als wenn sie schläft. Oh, Herr Pagel, was soll ich nur tun? Mir ist so angst! Ich bin noch nie so gewesen …«
Sie spricht fieberhaft erregt, ihr weißes Gesicht zuckt, sie hat seine Hand gefaßt und drückt sie, ohne es zu spüren. Sie bittet ihn: »Sehen Sie Violet einmal an, Herr Pagel! Reden Sie einmal ein Wort mit ihr. Vielleicht hört Weio auf Sie …«
Dem jungen Pagel ist es heiß und kalt, er muß doch den Rittmeister suchen. Was kann der Rittmeister
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