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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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unterdes alles anrichten! Aber er läßt sich an das Bett ziehen. Unsicher schaut er auf das schlafende, stille Gesicht, unsicher sagt er: »Sie scheint mir zu schlafen …«
    »Sie irren sich! Sie irren sich bestimmt! Sagen Sie etwas zu ihr! – Violet, unsere Weio, Herr Pagel ist hier, er möchte dir guten Morgen sagen … Sehen Sie, jetzt hat sich ihr Lid bewegt!«
    Pagel war es auch beinahe so; plötzlich kommt ihm der Gedanke, die verstellt Schlafende anzurufen: Der Leutnant ist da!
    Es ist nur ein Gedanke, er wird sofort wieder verworfen, denn tut man so etwas? Tut man so etwas vor der Mutter?Warum soll man sie schließlich nicht in Ruhe lassen, wenn sie durchaus Ruhe haben will? Und er muß den Rittmeister suchen …
    »Nein, sie schläft bestimmt, gnädige Frau«, wiederholt er beruhigend. »Und ich würde sie auch schlafen lassen. Jetzt will ich uns einen Kaffee kochen …«
    Er lächelt Frau Eva von Prackwitz noch einmal ermutigend zu, er spielt noch ein etwas schmähliches Theater, indem er vor der nachschauenden Frau in das leere Schlafzimmer des Rittmeisters geht und kopfnickend: »Alles in Ordnung!« wieder herauskommt. Dann steigt er langsam und ohne Hast – von ihren Augen verfolgt – die Treppe in das Erdgeschoß hinab.
    Sein Instinkt führt ihn sofort richtig. Von den sechs Türen, die auf die Diele gehen, wählt er die in das Herrenzimmer, denn er hat heute abend beim Reinmachen gesehen, daß in diesem Zimmer die beiden Dinge stehen, die nach des Rittmeisters Zustand in Frage zu kommen scheinen: der Gewehrschrank und der Likörschrank.
    Bei dem Geräusch der sich öffnenden Tür fährt der Rittmeister mit der Gebärde eines erwischten Diebes herum. Er lehnt am Tisch, mit der einen Hand hält er sich an der Lehne eines großen, ledernen Ohrenstuhls, in der andern Hand hält er die so oft gewünschte Schnapsflasche.
    Pagel zieht die Tür sachte hinter sich zu. Da es nur die Schnapsflasche, nicht der Revolver ist, glaubt er scherzhaft sein zu können. Heiter ruft er: »Hallo, Herr Rittmeister! Lassen Sie mir etwas drin. Ich bin hundemüde und kann eine kleine Auffrischung auch gebrauchen!«
    Aber der heitere Ton ist verfehlt. Wie viele Betrunkene, denen das Schmähliche ihres Tuns wohl klar ist, hält der Rittmeister jetzt besonders auf seine Würde. Er fühlt nur die freche Vertraulichkeit im Ton seines jungen Mannes, er schreit zornig: »Was wollen Sie hier?! Was schleichen Sie mir nach?! Ich verbitte mir das! Scheren Sie sich auf der Stelle fort!« Er schreit dies sehr laut, aber sehr undeutlich. Die vonAlkohol und Veronal fast gelähmte Zunge weigert sich, die Worte genau zu artikulieren: Er spricht mit dicker Zunge, wie durch ein Tuch. Das erhöht seinen Zorn nur, mit geröteten Augen und unruhig zuckendem Gesicht sieht er haßerfüllt seinen Peiniger an, diesen jungen Burschen, den er aus dem Sumpf der Großstadt aufgelesen hat, der ihn nun kommandieren will.
    Pagel erkennt nicht die Gefährlichkeit seines Gegners, er merkt nicht, daß er es mit einem fast Wahnsinnigen zu tun hat, der zu allem fähig ist. Achtlos geht er auf den Rittmeister zu und sagt freundlich überredend: »Kommen Sie, Herr Rittmeister, Sie müssen wieder ins Bett. Sie wissen doch, Ihre Frau will nicht, daß Sie noch etwas trinken. Seien Sie nett, geben Sie mir die Flasche.«
    Alles Dinge, die der Rittmeister durchaus nicht hören will, die ihn tödlich beleidigen.
    Der Rittmeister streckt dem ehemaligen Fahnenjunker die Flasche hin, halb zögernd … Aber in dem Augenblick, da Pagel zufassen will, wird die Flasche erhoben und fällt mit einem Krach, in dem die ganze Welt zu zerfallen scheint, auf seinen Schädel nieder.
    »Da hast du es, Bürschlein!« schreit der Rittmeister triumphierend. »Dich will ich parieren lehren!«
    Pagel, die beiden Hände zum Kopf erhoben, ist zurückgewichen. Trotz des betäubenden, fast bewußtlos machenden Schmerzes begreift er erst in dieser Sekunde ganz die Größe des Unheils, das dieses Haus heimsuchte. Er begreift, was die gnädige Frau oben schon seit vielen Stunden weiß, daß es sich nicht um einen betrunkenen, sondern um einen irren Chef handelt. Und was das junge Mädchen anlangt …
    »Nehmen Sie Haltung an, Fahnenjunker!« schreit der Rittmeister befehlend. »Stehen Sie nicht so nachlässig vor Ihrem Vorgesetzten!«
    Trotz der wahnsinnigen Schmerzen, trotzdem er kaum den Kopf in den Nacken zurückbiegen kann, zwingt sich Pagel, stramm militärische Haltung anzunehmen. Um

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