Wolf unter Wölfen
Enttäuschung aller Kindermädchen erlebt: Es hat ein ersehntes Spielzeug besorgt, aber das Kind sieht es gar nicht an, es spielt längst mit etwas anderem!
In dieser stillen Nachtstunde, ein bißchen schläfrig, denn seit halb fünf Uhr morgens ist er auf den Beinen, begreift derjunge Pagel, warum der freundliche, der tüchtige, der hilfsbereite Herr von Studmann allein geblieben ist, ein älterer, recht isolierter Junggeselle. Der Mensch liebt seine Retter nicht – ist er aus der Gefahr, nimmt er ihnen die Überlegenheit übel!
Die Stimmen drüben in dem Zimmer gehen hin und her. Pagel sieht auf seine Armbanduhr, es ist beinahe halb eins. Eigentlich ginge ich ganz gerne ins Bett, denkt er schläfrig. Bettreif bin ich, und der Rittmeister hat sich die letzte Viertelstunde nicht gerührt, der pennt auch. Aber ich kann die Frauen drüben nicht im Stich lassen, der Studmann wird auch nicht mehr lange bleiben, die Stimme der gnädigen Frau klingt immer gereizter … Ach, wenn ich doch wenigstens einen Kaffee hätte, einen schönen, dicken, schwarzen, steifen Kaffee –!
Und nun sieht er sich hinabgehen in die Küche der Villa … sie haben da einen Tauchsieder, er hat ihn heute nachmittag gesehen, es geht ganz schnell. Er würde sich eine tüchtige Portion Kaffee mahlen, so ein halbes Lot, rein in die Tasse, kochendes Wasser darüber, drei Minuten ziehen lassen, mit kaltem Wasser abspritzen, und nun trinken das Zeug, glühend heiß, mit Salz und allem: Ach! Ich würde frisch werden wie ein Fisch im Wasser!
Aber er kann ja nicht fort, diesen herrlichen, munter machenden Kaffee, den ihm manchmal der Peter aufgebrüht hat, ehe er zum Spielen ging, er kann ihn nicht trinken, weil er hier bei diesem dammligen Rittmeister sitzen muß, der bestimmt nicht schläft. Warum hat er nur so die Hände unter der Bettdecke? Verdöst, wie Wolfgang jetzt ist, hält er es sogar für möglich, daß der Rittmeister sich ein Messer geholt hat, als er vorhin aus dem Bette war. Aber war er wirklich aus dem Bette –?
Wolfgangs immer schläfriger werdender Kopf weigert sich energisch, dieser Frage irgendwelches Interesse zu schenken. Dafür taucht das Bild der Kaffeetasse wieder auf, er sieht sie förmlich vor sich, sie dampft, die bräunlich-stumpf-silbrige Oberfläche ist feingemahlener, im siedenden Wasser gequollener Kaffee … Ah, wie gut so etwas gegen die Müdigkeit ist –!Und mit einer tiefen Erleichterung fällt es Wolfgang Pagel plötzlich ein, daß er ja gar nicht hinunter muß, den Kaffee zu brühen, daß Lotte noch kommen muß. Auch der Chauffeur wird noch kommen, aber vor allem Lotte, die ihm den Kaffee brühen wird. Wo steckt das Mädel? Es ist gleich halb eins … Sie muß ihm noch den Kaffee brühen, es ist gleich …
Mit einem Ruck fährt Pagel aus seiner Döserei auf. Vielleicht war es ein Rascheln der Bettdecke, obwohl der Rittmeister jetzt still liegt – aber war es nicht so, als hätte der nackte Fuß aus dem Bett gelangt –?
Nein, er liegt ganz ruhig, auch die Stimmen drüben sind still geworden … Ja, richtig, was hat Studmann doch gesagt? Das Schloß dunkel, aber voll Trara, und keiner macht auf … Er hat vorhin darüberhin gehorcht, aber es ist in ihm sitzen geblieben, ein Widerhaken, der ihn jetzt plötzlich aus seiner Döserei geweckt hat. Die Lotte noch nicht da, und das Schloß dunkel, aber voller Trara …
Es wird nichts weiter sein, der alte Elias ist vertrauenswürdig, und die Mäuse feiern eben, wenn die Katze aus dem Hause ist. Trotzdem wird man den Studmann ein bißchen anstoßen müssen deswegen! Denn ein ungemütliches Gefühl bleibt; das Erlebnis mit dem Oberwachtmeister Marofke hat Pagel etwas wacher gemacht, er schlendert nicht mehr so durch Gelände und Menschheit, er fühlt sich verantwortlich. Verantwortlich für was? Verantwortlich für das, was er tut! Vor sich selbst! Nein, er wird nicht vergessen, Herrn von Studmann anzustoßen. –
Drei Minuten später ist es dann soweit. Es ist zehn Minuten nach halb eins, Herr von Studmann tritt in die Tür und sagt etwas kurz: »Würden Sie mich bitte aus dem Haus lassen, Pagel? Und mir den Schlüssel zum Beamtenhaus geben? Sie bleiben wohl noch hier?«
Pagel wirft einen Blick auf seinen Patienten und fragt dann flüsternd: »Haben Sie eigentlich den Eindruck, daß Herr Rittmeister schläft? Fest schläft?«
Herr von Studmann wirft einen kurzen, sehr ungnädigenBlick auf den Rittmeister und erklärt ärgerlich: »Natürlich schläft er.
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