Wolf unter Wölfen
Mädchen mit aufleuchtenden Augen an. »Liebschner, Kosegarten, Matzke, Wendt und Holdrian«, sagt er wie aus der Pistole geschossen her. »Und welcher fehlt, Amanda?«
»Liebschner«, sagt sie. »Der Kerl mit dem unruhigen, schwarzen Blick, so ’n Schleicher, Sie wissen doch, Herr Pagel!«
Pagel nickt ihr kurz zu und geht zu den Gendarmen, um sich zu erkundigen. Aber dort hat man das Fehlen des fünften auch schon gemerkt – wie hätte es anders sein können? Selbst wenn die Gendarmen nicht daran gedacht hätten, das treffliche Gedächtnis des Herrn von Studmann sagte ebenso fehlerlos wie das Pagelsche her: »Holdrian, Wendt, Matzke, Kosegarten, Liebschner …«
Ja, eine Weile sah es so aus, als sollte die Suche nach dem gnädigen Fräulein über diesem fehlenden fünften Mann vertrödelt werden, trotz alles Drängens von Wolfgang Pagel. Aber dann, gegen die dritte Stunde, kamen rasch neue Mannschaften. Die Neugierigen wurden aus dem Saal getrieben, schnelle Vernehmungen kamen in Gang, sehr gefördert durch einen plötzlich aus der Nacht aufgetauchten Kriminalbeamten oder ehemaligen Kriminalbeamten, den aber die Gendarmen zu kennen schienen, einen dicken, völlig verschmutzten und durchnäßten Mann mit einem merkwürdig gefrorenen Blick.
Zwei Minuten – und es war klar, dieser Liebschner war bei der Orgie im Saale nicht anwesend gewesen.
Weitere drei Minuten – und es war erwiesen, er war auch nie im Schloß gewesen. Ach, die dicke, heulende Mamsell – jetzt fuhr sie doch wirklich aus ihrem Rock heraus, dieser weinende, seufzende Fleischberg. Sie rief: »Wir haben doch nur zu vieren oben geschlafen – was hätten wir wohl mit fünf Kerlen machen sollen?! Nein, pfui, was solche Männer alles von uns denken!«
Und verschwand flennend wieder unter ihrem Rock.
Nochmals zwei Minuten – und sie wußten: Der Liebschner war den andern vieren schon im Walde verlorengegangen, gleich nach der Flucht …
»Was ist er? Hochstapler? Halten wir uns nicht auf«, sprach der dicke Kriminalist. »Der Junge ist längst in Berlin – für so einen feinen Herrn ist Neulohe kein Pflaster. Der hat gewußt, was er wollte. Mit dem bekommen unsere Kollegen vom Alex zu tun – hoffentlich recht bald. – Ab mit den Leuten! Sie, bitte, Herr von Studmann, gehen mal rüber in die Villa. Sagen Sie dem Arzt, er soll mitkommen. Es ist schon besser, das Fräulein ist im Hemd losgelaufen – oder im Pyjama, bei dieser Witterung dasselbe.«
»Frau von Prackwitz –«, wandte Studmann ein.
»Die gnädige Frau schläft, hat eine Spritzeken gekriegt. Der gnädige Herr schläft – hat auch genug. Der Arzt hat Zeit, sage ich Ihnen. Halt, bringen Sie irgendein Kleidungsstück von dem gnädigen Fräulein mit, damit der Hund immer wieder Witterung nehmen kann, irgend etwas, das sie direkt auf dem Leib getragen hat. – Noch eins! Hier soll es einen Förster geben, ollen Krachstiebel, Kniebusch oder so was. Raus mit dem aus dem Bett – der Mann wird ja seinen Wald kennen …«
»Ich werde den Förster holen«, sagte Pagel.
»Halt! Junger Mann, Herr Pagel, nicht wahr? Mit Ihnen wollte ich grade sprechen.«
Der große Saal hatte sich geleert, zwei oder drei der für die »Orgie« verhängten Birnen brannten nur noch, die Luft war eisig und wie voller Schmutz. Von einem Fenster hing halb heruntergerissen der Vorhang und zeigte die nachtblinde Scheibe.
Der Dicke hatte sich neben Pagel gestellt, er nahm ihn leicht am Arm, er zwang ihn zum Hinundhergehen. – »Eine verdammte Kälte. Ich bin Eis bis aufs Mark. Was das kleine Fräulein frieren muß! Jetzt ist sie beinahe zwei Stunden draußen! Nun los, erzählen Sie mir alles, was Sie von derjungen Dame wissen. Sie sind doch Beamter hier auf dem Gut, junge Männer interessieren sich für junge Damen, also los!«
Und die eisigen Augen sahen Pagel durchdringend an.
Aber Pagel hatte manches gesehen und beobachtet, er war nicht mehr der junge, ahnungslose Mann, der sich jedem mit Autorität auftretenden Anspruch beugte. Er hatte wohl gehört, wie ein Gendarm unmutig gerufen hatte: »Was will der dicke Speckjäger schon wieder bei uns?!« Er hatte beobachtet, wie der dicke Mann wohl jedem Zivilisten Weisungen gab, nie aber einem Gendarmen. Und wie die Gendarmen taten, als sei der Dicke eigentlich gar nicht da, nie mit ihm sprachen …
So sagte er denn langsam unter dem durchdringenden Blick dieser Augen: »Erst einmal müßte ich wissen, im Auftrage welcher Behörde Sie hier sprechen!«
»Wollen
Weitere Kostenlose Bücher