Wolf unter Wölfen
an, und die gnädige Frau wird auch schlafen gelegt, und er hat überhaupt sehr viel zu tun.
Aber das macht die wesentlichen Dinge nur unklarer. So gut und so anständig, wie nur immer möglich. Darin liegt es. Das hält für ein Leben vor.
11
Nacht ist es – der Wind ist um die dritte Morgenstunde stärker geworden. Er wirft sich brausend in den Wald, aus den Kronen bricht er das morsche, das tote Holz. Krachend fälltes zur Erde. Es ist Herbst, es geht auf den Winter zu! Manchmal jagen die eilig ziehenden Wolken einen raschen Schauer herab, aber der Hund, ein einziger Spürhund, bleibt gut auf der Fährte.
Wieviel Menschen, wieviel Menschen sind unterwegs! Ganz Neulohe ist auf den Beinen, in keinem Haus schlafen die Menschen, überall brennen die Lampen!
Eine große Sache, eine ungeheuerliche Sache: Die entflohenen Zuchthäusler, sie hatten im Schloß gesteckt! Sie waren überhaupt nicht fort gewesen, in den Kammern der Mädchen verborgen, hatten sie der Liebe und dem guten Essen gelebt. Dann, als die Herrschaft abgereist war, hatte man ein großes Fest gegeben. Der Übermut war ihnen zu Kopf gestiegen, die Tollheit – sie hatten sogar den alten würdigen Elias bei ihrem Bacchanal zusehen lassen, in einen Teppich gewickelt, ein Tuch vor dem Munde! Diese Mädchen – sie waren ja ohne jede Scham und allen Anstand gewesen, sie hatten mit den Zuchthäuslern Freundschaft geschlossen. Von ihren Mädchenkammern war in die Schnitterkaserne zu schauen gewesen, es waren Zeichen getauscht worden, Neckereien zuerst nur, aber dann hatten sie sich sehr gut verstanden. Der alte Marofke hatte die richtige Witterung gehabt!
Ja, es war etwas faul gewesen, hüben wie drüben, in der Villa wie im Schlosse. Im Schloß hatten sie viel gebetet, aber Beten allein tut es freilich nicht – die alte gnädige Frau, wie würde sie über diese schlimme Nachricht hinwegkommen? Ihr Haus mußte ihr ja geschändet vorkommen!
Die Gendarmen hatten leichte Arbeit gehabt. Sie hatten überhaupt keine Arbeit gehabt, als sie mit Herrn von Studmann unter »Hände hoch!« in den großen Speisesaal eindrangen! Die Verbrecher hatten gelacht, sie hielten es für einen guten Witz! Sie hatten eine köstliche Zeit gehabt, saftige Dinge hatten sie zu erzählen, sie würden die Helden des Zuchthauses werden – und was konnte ihnen viel passieren?! Oben in den Kammern der Mädchen lag fein zusammengelegt ihre Zuchthauskluft, kein Stück fehlte. Unterschlagungkam nicht in Frage, Einbruch kam nicht in Frage – mit einem halben Jahr, mit drei Monaten würde die Sache für sie abgemacht sein. Und das war sie ihnen wert!
Die Mädchen freilich weinten. Oh, was die dicke Mamsell heulte, als man ihrem Liebsten, dem Verbrecher Matzke, die Handschellen anlegte! Sie zog den Rock ganz über ihren Kopf, sie heulte darunter wie ein Hündlein, sie schämte sich so –!
Wolfgang Pagel, der hereinsah, um die Gendarmen zur Eile anzutreiben, denn wichtiger als diese Zuchthäusler schien ihm jetzt das gnädige Fräulein – Wolfgang Pagel also sah Amanda Backs an einem Saalfenster stehen, dieses große, stramme, derbe Mädchen, das jetzt einen merkwürdig gespannten Zug im Gesicht hatte. Grimmig leuchtend beobachteten ihre Augen das betrunkene, heulende, lachende, schimpfende Treiben im Saal. (Da nicht genug Gendarmen zur Absperrung da waren, hatten sich viel zuviel Neugierige eingedrängt.)
Mit einem Gefühl der Enttäuschung sah Pagel das Mädchen dastehen, er hatte sie gestern nachmittag noch so großartig gefunden, als sie den Verräter Meier vor der Ententekommission geohrfeigt hatte.
»Sie auch –?« fragte er betrübt.
Amanda Backs wandte ihm das Gesicht voll zu und sah ihn an. »Bei Ihnen piept’s wohl?« sagte sie verächtlich. »Mit schlechten Kerlen habe ich genug zu tun gehabt. Nee, danke, davon bin ich kuriert. Wenn kein Anständiger, dann lieber gar nicht!« Pagel nickte, und die Backs sagte erklärend: »Ich wohn doch wegen der Hühner unten, weil ich immer so früh raus muß und die Gnädige nicht stören sollte. Und die wohnen alle oben. – Aber jewußt habe ich es natürlich – das sind doch bloß alles Jänse, und Jänse ohne Schnattern gibt es nich.«
Sie sah wieder in das Getümmel und fragte nachdenklich: »Ob sie’s nun schon gemerkt haben? Ich verstehe es nicht. Es waren doch immer fünfe, und viere haben sie bloß gekappt!Ob der fünfte getürmt ist oder ob er gar nicht hier im Schloß war – ich weiß es nicht.«
Pagel sieht das
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