Wolf unter Wölfen
Sie ein Blechschild sehen?« rief der andere. »Ich könnte Ihnen eines zeigen, bloß, es gilt nichts mehr. Ich bin ein rausgeschmissener Beamter. In den Zeitungen heißt so was: ›Wegen nationaler Gesinnung gemaßregelt‹.«
Rascher sagte Wolfgang: »Sie sind der einzige Mann hier, der wegen der Nachsuche von Fräulein von Prackwitz gedrängt hat. Welches Interesse haben Sie an ihr?«
»Keines!« sprach der Mann eisig. Er beugte sich nahe zu Pagel, er faßte ihn am Rock, er sagte eilig: »Sie haben Glück, junger Mann, Sie haben ein angenehmes Gesicht, nicht solche Bulldoggenfresse wie ich. Die Menschen werden immer Vertrauen zu Ihnen haben – mißbrauchen Sie es nicht! Nun, ich habe auch Vertrauen zu Ihnen; ich will Ihnen was verraten: Ich habe großes Interesse an allem, was mit ausgenommenen Waffenlagern zusammenhängt.«
Wolfgang sah vor sich hin; er sah wieder auf, er sagte: »Violet von Prackwitz war fünfzehn Jahre. Ich glaube nicht, daß sie …«
Der Kriminalist sah ihn eisig an. »Herr Pagel«, sagte er, »überall, wo Verrat geschehen ist, war eine Frau im Spiel, alsAntrieb oder als Werkzeug. Oft als blindes Werkzeug. Immer! – Erzählen Sie!«
Da erzählte Pagel, was er wußte.
Der Dicke ging neben ihm her, er schnaufte, er räusperte sich, er sah verächtlich die Wände an, er riß wütend an einer Vorhangschnur, er spuckte aus, er rief: »Dummheiten, elende Dummheiten! Kotz!« Er wurde leiser, schließlich sagte er: »Danke schön, Herr Pagel, jetzt ist es schon ein bißchen heiler.«
»Werden wir das Fräulein finden –?« rief Pagel. »Der Leutnant …«
»Blind!« sagte der dicke Mann. »Blind hineingeboren in eine Welt von Blinden. Sie denken an den Leutnant. Nun, Herr Pagel«, flüsterte er, »Sie werden diesem Herrn Leutnant in einer Stunde guten Morgen sagen können – ich fürchte, es wird Ihnen nicht gefallen.«
Es war so still im Saal. Die Lampen glimmten nur noch. Das dicke, weiße Gesicht sah Pagel groß an. Ihm war, wie durch einen Schleier, als nicke es, als nicke es ihm zu, dieses böse Gesicht der Menschheit, das alle Gemeinheit, alle nackte Brutalität, alle Sünde des Menschenherzens kennt und das doch weiter lebt, ja sagend. Er sah hinein, sah hinein, ich war auch auf
dem
Wege, sagte er, hatte er es gesagt?
Plötzlich hörte er wieder den Wind vor den Scheiben, ein Hund jaulte laut auf, ein anderer antwortete. Der Dicke faßte ihn bei der Schulter. »Los, junger Mann, wir haben keine Zeit mehr.«
Sie gingen in den Wald …
Der Wind ging, in den unsichtbaren Kronen rauschte es, Holz brach krachend von oben, Stimmen schienen zu schreien, kurzer Regen stäubte – stumm gingen die Männer. Manchmal leise hechelnd, zog der Hund unentwegt an der Leine; ihm zusprechend, sanft ihn lobend, ging sein Herr ihm nach. Gleich darauf folgten Pagel und der Kriminalbeamte, dann der Arzt mit Herrn von Studmann, dann zwei Gendarmen … Der Förster fehlte, der Förster war nicht zuerreichen gewesen, der Förster sollte außerhalb sein. – »Den lange ich mir noch!« hatte der Kriminalist in einem Ton gesagt, den Pagel nicht gerne hörte.
Aber dann ging er ganz still neben dem jungen Mann. Einmal ließ er den Schein seiner Taschenlampe aufblinken, er blieb stehen, er sagte gleichmütig: »Bitte hier nicht herzutreten!« und ließ die andern vorübergehen. »Sehen Sie«, sagte er zu Pagel und wies auf irgend etwas am Boden, das Pagel nicht unterscheiden konnte. »Er hat an alles gedacht. Hier hat sie schon Schuhe an, und einen Mantel oder so etwas wird er ihr auch mitgebracht haben.«
»Wer hat an alles gedacht?« fragte Pagel müde. Er fragte nur so, es interessierte ihn nicht, er war unerträglich müde, und sein Kopf schmerzte immer stärker. Er würde den Arzt nachher fragen, was denn eigentlich mit ihm los war.
»Wissen Sie es denn noch immer nicht?« fragte der Kriminalist. »Sie haben es mir doch selber gesagt.«
»Ich weiß es wirklich nicht, wenn es nicht der Leutnant ist«, sagte Pagel verdrossen. »Und ich bekomme es heute nacht auch nicht mehr heraus, wenn Sie es mir nicht sagen.«
»Wenn das Blut zu fein wird«, erklärte der Dicke rätselhaft, »dann verliert es an Kraft. Es will wieder hinunter. – Aber jetzt wollen wir schneller gehen. Meine Kollegen sind weit genug voraus, damit sie den Ruhm des Fundes haben …«
»Wissen Sie denn schon, was wir finden werden?« fragte Pagel, immer mit der gleichen müden Verdrossenheit.
»Was wir
jetzt
finden werden, ja, das
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