Wolf unter Wölfen
weiß ich. Aber was wir
dann
finden werden, nein, das weiß ich nicht, das kann ich mir nicht einmal vorstellen.«
Nun gingen sie wieder schweigend weiter. Sie gingen immer rascher, die vorne schienen auch rascher gegangen zu sein. Sie kamen zwei Minuten zu spät, die andern waren schon alle um ihn herum.
Es war ein Murmeln, und oben ging der Wind. Aber im Schwarzen Grunde, hier war es still, der Kreis schob sich hinund her – der weiße Lichtkegel von der Taschenlampe des Arztes lag unerträglich grell auf dem, was einmal ein Gesicht gewesen war.
»Hat sich noch sein Grab gegraben, völlig verdreht.«
»Aber wo ist das Fräulein?«
Gemurmel. Stille.
Ja, es war wohl kein Zweifel, dieses war der Leutnant, von dem Pagel so oft hatte reden hören, dem er so gerne einmal begegnet wäre. Hier lag er, eine sehr stille, eine sehr fragwürdige Figur – geradezu gesagt: ein ziemlich besudelter Haufen Lumpen, unverständlich, daß es je um dies Haß und Liebe gegeben haben sollte. Mit einem unerklärlichen Gefühl von Kälte, fast von Abneigung, sah er auf dieses Etwas hinab, gänzlich unerschüttert –: Warst du denn so großer Dinge wert? hätte er fragen mögen.
Der Arzt richtete sich auf. »Unzweifelhaft Selbstmord«, stellte er fest.
»Kennt einer der Herren aus Neulohe den Mann?« fragte ein Gendarm.
Über den Kreis weg sahen sich Pagel und von Studmann an. »Nie gesehen«, antwortete Studmann.
»Nein«, sagte Pagel und sah sich nach dem dicken Kriminalisten um. Aber wie er schon erwartet hatte, war der nirgends zu sehen.
»Dies ist doch wohl der Platz, wo –?«
»Ja«, sagte Pagel. »Ich habe heute nachmittag, gestern nachmittag zu einem Protokoll hierher gemußt. Dies ist der Platz, wo die Ententekommission ein Waffenlager beschlagnahmt hat.«
»Toter also unbekannt«, sprach eine Stimme im Hintergrund abschließend.
»Aber unzweifelhaft Selbstmord!« rief der Arzt eilig, als stellte er etwas richtig.
Eine lange Stille entstand. Die Gesichter der Männer in dem kleinen Lampenschein waren fast mürrisch, sie standen so unentschlossen herum …
»Und wo ist die Waffe –?« fragte schließlich der Hundeführer doch.
Eine kleine Bewegung entstand.
»Nein, hier ist sie nicht. Wir haben schon alles abgesucht. Weit hätte sie nicht wegfallen können.«
Wieder diese lange verdrossene Stille. Das ist ja wie eine Gespensterversammlung, dachte Pagel, unerträglich gepeinigt, und versuchte, näher an den Hund zu kommen, um dessen schönen Kopf streicheln zu können. Denkt denn keiner mehr an das Mädchen –?
Da sagte es schon einer: »Und wo ist das Fräulein?«
Wieder eine Stille, aber belebter, nachdenklicher.
Dann meinte ein Gendarm: »Vielleicht – es ist doch ganz einfach. Er hat sich zuerst erschossen, und das Fräulein hat die Waffe genommen und hat es auch tun wollen. Aber dann hat sie es nicht gekonnt und ist mit der Waffe weitergelaufen …«
Wieder Nachdenken.
Darauf ein anderer: »Ja, so kann es gewesen sein, du hast recht.«
»Dann wollen wir also erst mal rasch weitersuchen.«
»Das kann die ganze Nacht durch gehen – Neulohe bringt uns kein Glück.«
»Los! Jetzt nicht trödeln!«
Eine Hand legte sich von hinten fest auf Pagels Schulter, eine Stimme flüsterte in Pagels Ohr: »Drehen Sie den Kopf nicht um. Ich bin nicht da. Fragen Sie den Arzt, wie lange der Tote schon tot ist.«
»Einen Augenblick bitte!« rief Pagel in die Bewegung des Aufbruchs hinein. Seine Stimme klang so, daß jeder sofort stillstand. »Können Sie uns wohl sagen, Herr Doktor, wie lange dieser Mann hier schon tot ist?«
Der Arzt, ein vierschrötiger, untersetzter Landarzt mit einem merkwürdig schütteren, schwarzen Bart um das Kinn, sah zögernd auf den Toten, dann in Wolfgang Pagels Gesicht. Seine Miene erhellte sich ein wenig, er sagte langsam: »Ich habe hierin nicht die Erfahrung meiner Herren Kollegenvon der Polizei. Darf ich fragen, warum Sie diese Frage stellen?«
»Weil ich das Fräulein von Prackwitz noch um halb eins schlafend in ihrem Bett gesehen habe.«
Der Arzt sah auf die Uhr. »Wir haben gleich halb vier«, sagte er rasch. »Um halb eins war dieser Mann schon Stunden tot.«
»Also muß ein anderer Mann das Fräulein von Prackwitz aus ihrem Zimmer hierhergeholt haben«, schloß Pagel.
Die Hand, die schwere Hand, die all diese Zeit über auf seiner Schulter wie eine Last gelegen hatte, wurde fortgenommen, ein leises Geräusch im Rücken verriet ihm, daß der Dicke sich entfernte.
»Es
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