Wolf unter Wölfen
Oktobertagen von zweihundertzweiundvierzig Millionen Mark auf dreiundsiebzig Milliarden; durch das ganze deutsche Land kroch der Hunger, die Grippe folgte ihm, eine unerhörte Verzweiflung erfüllte die Leute – jedes Pfund Kartoffeln war ein Zaun zwischen ihnen und dem Tode.
Wolfgang Pagel ist nun Alleinherrscher auf Rittergut Neulohe, über Gut und Forst. Er hat viel zu tun, er kann nicht mehr auf dem Kartoffelacker stehen und eine Blechmarke für jeden gebuddelten Korb ausgeben. Der Roggen für das nächste Jahr muß gesät, die Äcker müssen gepflügt werden. In der Forst fängt der Brennholzeinschlag an, und wenn man dem alten Kniebusch nicht alle Tage den Rücken steift, legte der sich am liebsten ins Bett und stürbe so langsam vor sich hin.Aber wenn Wolfgang auf seinem Rade beim Kartoffelschlag ankommt und der alte Kowalewski tritt ihm immer hohläugiger und verfallener entgegen und jammert: »Wir schaffen es nicht und wir schaffen es nicht, junger Herr! Auf diese Art buddeln wir noch im Januar bei Schnee und Eis!«
Dann sagt Wolfgang lachend: »Wir werden es schon schaffen, Kowalewski! Weil wir es nämlich schaffen müssen. Weil nämlich in der Stadt Kartoffeln bitter nötig gebraucht werden!«
Und bei sich denkt er: Und weil das Gut das Geld für die Kartoffeln bitter nötig braucht!
»Aber wir müßten mehr Leute haben!« jammert Kowalewski.
»Woher soll ich sie denn nehmen?« fragt Pagel ein bißchen ungeduldig. »Soll ich etwa wieder ein Zuchthauskommando kommen lassen?«
»Ach Gott, nein!« ruft der alte Kowalewski erschrocken aus, viel zu erschrocken, findet Pagel.
Er sieht nachdenklich auf die buddelnden Leute und sagt unmutig: »Das sind ja auch alles bloß Städter, das schafft nicht bei denen. Es ist zu ungewohnte Arbeit für sie. Wenn wir nur die Altloher dazu kriegten –!«
»Die kriegen wir nie!« sagt Kowalewski ärgerlich. »Die stehlen sich nachts ihren Kartoffelvorrat aus unsern Mieten.«
»Freilich tun sie das!« seufzt Pagel. »Ich sehe ja jeden Tag die Löcher in den Mieten und darf sie wieder zumachen lassen. – Ich nehme mir auch immer vor, in der Nacht hinauszugehen und zu sehen, daß ich einen erwische, Kowalewski«, gesteht Wolf. »Aber ich schlafe immer schon über dem Abendessen ein.«
»Es ist auch zuviel, was der junge Herr hat«, stimmt Kowalewski zu. »Das ganze Gut und die ganze Forst und alle Schreiberei, das hat noch keiner gemacht. Da müßte Hilfe her.«
»Ach, Hilfe«, antwortet Pagel abweisend. »Es weiß doch noch keiner, was hier werden wird.«
Sie schweigen beide einen Augenblick. Dann sagt Kowalewski hartnäckig: »Aber die elenden Altloher Kartoffeldiebe – das ist Sache der Gendarmerie. Die müßte der junge Herr mal anrufen.«
»Die Gendarmerie«, antwortet Pagel. »Nein, lieber nicht. Bei denen sind wir nicht sehr beliebt mehr, Kowalewski, wir haben ihnen im letzten halben Jahr zuviel Arbeit gemacht.«
Nun schweigen sie beide. Aus dem Dunkel kommt mit jedem Karstschlag der gelbliche, bräunliche Kartoffelsegen ans Himmelslicht. Pagel könnte nun wieder gehen, er hat sich überzeugt, wie weit die Arbeit vorwärtsgeruckt ist. Aber er hat dem alten Kowalewski noch etwas zu sagen, und so weich ist der junge Pagel nicht mehr, daß er sich scheut, einem andern etwas zu sagen, auch wenn es etwas Unangenehmes ist.
Wenn es gesagt werden muß, sagt er es.
»Hören Sie, Kowalewski«, sagt er. »Ich habe heute früh Ihre Sophie im Dorf gesehen. Sie ist also noch immer zu Haus.«
Der alte Mann wird sehr verlegen. Er stottert: »Sie muß ihre Mutter pflegen – meine Frau ist krank.«
»Das letztemal haben Sie mir gesagt, sie geht zum ersten Oktober in Stellung. Jetzt sagen Sie mir, sie muß ihre Mutter pflegen. Sie sagen mir nicht die Wahrheit, Kowalewski. So geht das nicht. Wenn sie hier in unserer Werkwohnung wohnt, so muß sie auch arbeiten.«
Kowalewski ist sehr blaß geworden. »Ich habe keine Gewalt über das Mädel, junger Herr«, entschuldigt er sich. »Sie hört nicht, wenn ich ihr etwas sage.«
»Kowalewski, alter Kerl!« ruft Pagel. »Seien Sie doch nicht so schlapp! Sie wissen doch selbst, wie nötig wir jede Hand brauchen, und Sie wissen auch, wenn die Tochter vom Leutevogt faul ist, wollen’s die Töchter von den Arbeitern erst recht sein.«
»Ich werde es ihr ausrichten, junger Herr«, sagt Kowalewski kummervoll.
»Ja, tun Sie das, und sagen Sie ihr, daß ich sonst noch eine Familie in das Haus setze, dann habt ihr nur noch Stube,
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