Wolf unter Wölfen
alte Mann Schelten und Spott wortlos über sich ergehen. Nun, da sie stille geworden waren, fing er noch einmal an: »Sophie, der Herr Pagel hat wieder gefragt, warum du nicht arbeitest …«
»Der Kerl soll …«
»Laß ihn doch fragen! Wer viel fragt, kriegt viel Antwort! Ich werd ihm schon antworten, wenn er zu mir kommt!«
»Er sagt aber, wenn du morgen nicht beim Buddeln bist, setzt er am Abend die schwarze Minna hierher ins Dachgeschoß!«
»Der Kerl soll …«
»Ja, Hans, das solltest du! Gib ihm was auf die freche Schnauze, daß er sie sechs Wochen nicht aufmachen kann! Was der Affe sich einbildet –!«
»Richtig, Sophie! Das heißt, ich nicht. Ich danke. Ich bin nicht für so was, das schlägt nicht in meine Branche. Aber das ist was für den Bäumer! Der erledigt den Jungen mit Vergnügen, der Junge braucht keine Decke mehr, der Junge weiß bis an sein Lebensende nicht …«
Schweigend hatte der alte Mann zugehört. Jetzt hob er den Kopf, er sagte leise: »Wenn dem Herrn Pagel was passiert, zeige ich euch an …«
»Was geht denn dich der Pagel an, Vater?!« fing Sophie an. »Du bist ja verrückt geworden …«
Aber Kowalewski sagte: »Ich habe das Maul gehalten, weil du meine einzige Tochter bist und weil ihr immer wieder versprochen habt, ihr fahrt nun bald ab. Es hat mir fast das Herz abgedrückt, dich hier mit so einem …«
»Quatschen Sie sich ruhig aus, alter Herr!« rief der im Bett. »Genieren Sie sich bloß nicht unter Verwandten! Zuchthäusler, wie –?«
»Jawohl, Zuchthäusler!« wiederholte der alte Mann trotzig. »Aber ich glaub doch nicht, daß alle im Zuchthaus so gemein sind wie Sie! Und dann das Stehlen! Immer nur stehlen … Tut denn das ein Mensch, bloß aus Lust am Schadenstiften?! Ihr habt ja gar nichts davon, das Geld, das ihr in Frankfurt und Ostade für das Gestohlene kriegt, ist ja nichts wert …«
»Gedulden Sie sich nur, alter Herr, es kommen auch wieder andere Zeiten. Sobald ich Reisegeld und Betriebskapital zusammen habe, schmettern wir ab. Meinen Sie, mir gefällt Ihre Kate hier so? Oder ich kann mich nicht von Ihrer Jammervisage trennen?«
Er pfiff durch die Zähne: »Du bist verrückt, mein Kind!«
»Ja«, rief der alte Mann eifrig. »Fahren Sie ab! Fahren Sie nach Berlin!«
»Schwiegervater! Sie haben mir doch eben erst erzählt, daß wir kein Geld haben! Oder wollen Sie mir die Aussteuer für Ihr Fräulein Tochter in bar geben?! Nee, mein Lieber, ohne Geld nach Berlin – und gleich wieder verschüttgehen?! Danke! Jetzt haben wir so lange gewartet, nun muß es auch noch die paar Tage oder Wochen gehen, bis wir …«
»Aber was soll werden, wenn er uns wirklich die Minna reinsetzt?!« rief Sophie zornig. »Das hast du uns sicher eingebrockt, du willst uns bloß weghaben, Vater!«
Herr Liebschner pfiff, er wechselte einen Blick mit Sophie. Sophie verstummte.
Kowalewski hatte den Blick gesehen. »So wahr ich hier stehe!« rief er zitternd, »so wahr ich hoffe, daß mir Gott meine Schwachheit vergeben wird – wenn dem Herrn Pagel was passiert, ich bringe selbst die Gendarmen hierher!«
Einen Augenblick schwiegen sie alle drei. In dem Ausruf des alten Mannes hatte eine solche Kraft gelegen, daß auch die beiden andern überzeugt waren, er werde es tun.
»Und du tust immer so, als wenn du was für ’n Vater wärst!« sagte Sophie schließlich verächtlich.
»Da kannst du nischt bei machen, Sophiechen!« sagte Liebschner ergeben. »Der Alte hat eben einen Narren an dem Bengel gefressen. So was gibt es. – Hör zu, Sophie, hören Sie auch zu, alter Herr! Erst einmal wirst du jetzt gleich dem jungen Mann auf die Bude rücken. Jetzt um die Mittagsstunde wird er ja allein sein. Sei ein bißchen nett zu ihm, Sophiechen, du weißt ja, ich bin nicht eifersüchtig. Da wird er schon nachgeben … Das bringste doch fertig, was, Sophie?«
»So ein Stiesel!« sagte sie verächtlich. »Wenn ich will, rutscht der auf Knien. Aber die Backs wird bei ihm sein, er hat doch die Backs!«
»Die Dicke von den Hühnern –? Wenn du den Trampel nicht ausstechen kannst, bist du auch bei mir abgemeldet, Sophie!«
»Fahren Sie ab! Fahren Sie doch lieber bitte ab, ehe alles rauskommt!« bat Kowalewski.
»Bei Ihnen muß der Pastor wohl auch dreimal am Sonntag predigen, ehe Sie was kapiert haben, he? Geld, sage ich, eher werden Sie uns nicht los! – Also, Schwiegervater, seien Sie beruhigt, wir schaukeln das Kind, wir behalten die Wohnung, sie gefällt uns noch. – Und Ihrem
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