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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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aber er empfand es. Er lehnte sich gegen den angenehm warmen Ofen, den Brief Herrn von Studmanns steckte er erst einmal ungelesen in die Tasche, dann riß er eilig den Brief seiner Mutter auf. Aber ehe er mit dem Lesen begann, brannte er sich doch noch eine Zigarette an. Er wußte, er würde in Ruhe und in aller Behaglichkeit lesen können, kein Ruf »Die Suppe wird kalt« würde ihn stören.
    Amanda empfing den Briefträger, sie machte Haufen aus der Post auf dem Tisch: Gutsverwaltung, Forstverwaltung, die Herrschaft in der Villa, der Gutsvorsteher (der auch von Herrn Pagel dargestellt wurde) – und zum Schluß, manchmal, etwas für Herrn Pagel persönlich. Aber das legte sie nicht mit auf den Tisch. Sie hielt es irgendwie im Verborgenen, sie wartete, bis er sich wieder sauber, trocken und ein bißchen erfrischt fühlte, dann sagte sie: »Sie haben auch Post, Herr Pagel« und verschwand.
    Nun war es aber keineswegs so, daß dies eine verabredete Sache zwischen den beiden war. Amanda hatte sich das ganz allein ausgedacht. Es war ein Wunder, daß solch grobes Frauenzimmer auch feinfühlig sein konnte. Und es war auch keineswegs so, daß Pagel Amanda Geständnisse gemacht hatte; er hatte ihr nie von seinem Daheim oder gar von seiner Liebsten erzählt, das lag nicht in seiner Art. Aber es war wiederum ein Wunder, wie dieses Mädchen ohne ein Wort erriet, wie es um den jungen Pagel stand. Sie hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt, es gab keinen häufigen, dickleibigen Briefwechsel mit einer jungen Dame. Es gab überhaupt keinen Briefwechsel mit einer jungen Dame, sondern bloß mit einer Frau Pagel, die nach Handschrift und Absender nur die Mutter sein konnte. Aber Amanda hätte jeden Eid darauf geschworen, daß Herr Pagel, mit ihren Worten zu reden, »in festen Händen« war. Und daß, so fest diese Hände auch hielten, bei dieser Sache irgend etwas nicht ganz im Lote war (weil eben alle Briefe von einer »sie« fehlten).
    Das Mädchen räumt den Waschtisch auf, sie sieht sich noch einmal um: Es ist alles wieder in Ordnung. Wenn er will, kann er hier einen Nachmittagsschlaf halten. Hoffentlich entschließt er sich dazu, nötig täte es ihm. Sie horcht hinüber in das andere Zimmer, aber dort ist noch alles still. Sie ist nicht ganz zufrieden mit dieser Stille: Wenn Pagel sich freut, fängt er an zu pfeifen. Aber noch ist es still …
    Amanda setzt sich auf einen Stuhl. Es wohnt kein betrübtes oder neidisches oder verliebtes Gefühl für den jungen Pagel in ihr. Im Gegenteil: Was sie sieht und erfährt, das tut ihr nur gut. Es bestätigt etwas, das stark ist in ihr: den Lebenswillen.
    Sieh da, denkt sie etwa, das ist nun ein sauberer und anständiger Kerl, und bei den beiden ist auch nicht alles glatt gegangen. Warum soll ich da den Mut aufgeben und verzweifeln, wo ich erst seit zwei, drei Jahren aus dem schlimmsten Dreck herausgekrabbelt bin …?
    So etwa gehen Amandas Gedanken. Aber nun werden sie unterbrochen, denn nebenan, auf dem Büro, wird ein durchdringendes, gelles Pfeifen laut – nicht das melodische Gesäusel eines behaglich Zufriedenen, sondern ein wildes, kriegerisches Gegell, etwas, das sogar Amandas unmilitärischer Geist wie ein Angriffssignal empfindet: Zur Attacke, marsch, marsch! – Ran an den Feind! Und nun: Sieg, Ruhm und Gloria!
    Im gleichen Augenblick, Amanda ist eben vom Stuhl hochgefahren, wird die Tür aufgerissen. Pagel steckt den Kopf ins Schlafzimmer und schreit: »Amanda, Mensch, Mädchen, wo bleiben Sie denn? Hunger, Kohldampf, Suppe – los, los!«
    Mit all jener Entrüstung, die Menschen aus dem Volk für jede exaltierte Gefühlsregung haben, schaut Amanda in das gerötete, in das völlig veränderte Gesicht Pagels. Unnahbar sagt sie: »Bei Ihnen piept’s ja wohl!« und geht an ihm vorbei, die Suppe aufzufüllen.
    Neugierig schaut Pagel in die Teller, neugierig fragt er: »Was gibt’s denn, Amanda?« Aber sichtlich ist ihm die Antwort auf seine neugierige Frage ganz egal.
    »Gänseklein mit Graupen«, erklärt Amanda.
    »Ach, Amanda! Ausgerechnet heute wieder Gänseklein. Es müßte heute … Ach, ich habe bestimmt keine Ruhe, Gänseflügel abzuknabbern!«
    »Wenn Sie nicht bald dafür sorgen«, antwortet die Backs mit gefährlicher Ruhe, »daß die Dorfbengels mir meine Gänse nicht ewig mit Steinen lahm schmeißen, werden Sie noch alle Tage Gänseklein essen müssen, Herr Pagel.«
    »Ach, Amanda«, bittet Pagel kläglich, »können Sie mich heute mittag nicht mal mit aller

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