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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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guten Jungen wird nichts getan – einverstanden?«
    »Sie sollten abreisen!« wiederholte der alte Mann hartnäckig.
    »Zeig ihm die Tür, Sophie! Laß erst mal ihn abreisen! Wäre ich nicht zu faul, ich ließe Sie die Treppe runterreisen. Guten Morgen, Schwiegervater, hat mich sehr gefreut. Empfehlen Sie mich Ihrem Freunde, Herrn Pagel!«
    »Ach, Sophie!« flüsterte der alte Mann auf der Treppe trostlos. »Und du warst früher so ein braves Kind …«

3
    Amanda hatte recht behalten, es ging wirklich gut mit den beiden. Nein, es ging nicht nur gut, es ging ganz ausgezeichnet.
    Zu seinem Erstaunen entdeckte Pagel, daß dieses Weibsbild Amanda Backs, von dem er geglaubt hatte, sie würde ihm schon nach einer Woche auf die Nerven fallen, ihm im Gegenteil guttat, daß ihr Wesen ihm über viele schwierige Dinge hinweghalf. Daß sie sauber, fleißig, rasch, anstellig war, das hatte er schließlich schon so halb und halb gewußt. Daß aber dieses junge Ding mit dem Maul eines alten Schandweibes sehr wohl zu schweigen verstand, daß sie zuhören konnte, daß sie lernen wollte, daß sie andere Ansichten gelten ließ, das überraschte ihn höchlichst. Dieses im Elend herumgestoßene uneheliche Kind, das in einem Jahr seines Lebens mehr böse Worte und Schläge bekommen hatte als ein anderer Mensch in seinem ganzen Leben, das von einem grimmigen Pessimismus dem ganzen Dasein, allen Menschen und den Männern zumal gegenüber erfüllt war, diese Elends- und Kellerpflanze war von einer Empfänglichkeit für jedes gute Wort, jeden leisen Hinweis, die ihn immer wieder bewegte.
    »Mein Gott!« rief er den dritten Tag verblüfft, als er den Schreibtisch weiß gedeckt sah, mit anständigem Porzellan und Bestecken, die sie sich aus dem Schloß geholt haben mußte. Aber er sagte dies »Mein Gott!« halb gerührt, weil sie aus sich erraten hatte, wie sehr ihm das abgestoßene Steingutgeschirr und die schwärzlichen Blechbestecke widerstanden hatten.
    »Na ja«, sagte sie herausfordernd. »Wat is denn nu wieder los? Jeder, wie er’s gewöhnt ist! Ich sage ja immer, die Verpackung is mir Wurscht, der Inhalt macht’s – aber wenn’s Ihnen anders Spaß macht, bitte schön!«
    Diese beiden jungen Menschen lebten wie auf einer Insel, ohne jeden Umgang, ohne einen andern befreundeten Menschen, ohne ein freundliches Wort. Sie waren ganz aufeinanderangewiesen. Wenn Pagel außer dem Gerenne und Gehaste des täglichen Betriebes, in dem alle von ihm zehrten, ein bißchen Eigenleben führen wollte, so mußte er es »daheim«, nämlich auf dem Büro, finden. Und wenn Amanda, diese vielverlästerte Liebste des Verräters Meier, diese letzte Angestellte des verhaßten Geheimrats, bei einem Menschen ein gutes, persönliches Wort finden wollte, so mußte es bei Pagel sein.
    So wurde eines der Retter des andern. Ohne diese knallbackige Amanda Backs hätte Pagel in jenen schweren Tagen vielleicht doch noch schlappgemacht und wäre vor seiner Aufgabe ausgerissen, ganz wie ein Geheimrat von Teschow, ein Herr von Studmann oder gar ein Rittmeister. Aber daß der Fahnenjunker seine Fahne hochhielt, daran hatte Amanda Backs kein geringes Verdienst.
    Und wer weiß, ob Amanda Backs heil über ihr Meiersches Erlebnis hinweggekommen wäre, wenn sie nicht immer den Wolfgang Pagel vor Augen gehabt hätte. Es gab eben doch andere Männer, saubere Männer, Männer, die nicht jeder Schürze nachliefen und auf jeden Weiberbusen losglotzten. Es war unvernünftig, auf alle Welt wütend zu sein, weil der Meier ein Lump gewesen war. Sie hatte auf sich allein wütend zu sein, weil sie nicht besser gewählt hatte. Denn im Anfang hat es doch fast jeder Mensch ein bißchen in der Hand, wen er liebhaben will – später freilich ist es meistens zu spät. Später hatte sie ihr Hänseken richtig liebgehabt.
    Und da nun jedes von diesen beiden sein Gutes vom andern hatte, so gab es sich ganz von selbst, daß sie auch gut zueinander waren. Als Wolfgang frisch gewaschen und trocken angezogen wieder in das Büro kam, sah er, daß das Essen wohl geholt, die Suppe aber noch nicht aufgefüllt war.
    »Nun?« fragte er lächelnd. »Fangen wir noch nicht an?«
    »Sie haben auch Post, Herr Pagel«, sagte sie und hielt ihm zwei Briefe hin.
    Er nahm sie hastig, und Amanda ging ohne ein weiteres Wort in das Schlafzimmer hinüber, um das nasse Zeug fortzulegen und den Waschtisch aufzuräumen.
    Das war es, was man das Gutsein zueinander nennen konnte. Pagel dachte nicht weiter darüber nach,

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