Wolf unter Wölfen
Wunder war es, daß der junge Pagel von dem Kampfgetöse nicht aufgewacht war.
»Warum soll ich Ihnen das nicht sagen?« fragte Sophie trotzig, aber doch schwächer. Denn der Ausdruck im Gesicht der Gegnerin beunruhigte sie. »Sie haben es ja selber vor allen Leuten in der Andacht gesagt!«
»Fräulein!« sagte Amanda drohend, »wenn andere nicht bis fünf zählen können, ich kann es! Und wenn die Fünf gar nicht stimmen will, so kann man sich ja nachts unter ein Fenster stellen und hört sie reden.«
Jetzt war es Sophie, die weiß wurde. Ein ganze Weile stand sie, als hätte sie ein Schlag getroffen. Aber dann besann sie sich.
»Wenn man anständig ist«, sagte sie in einem ganz andern Ton, »braucht man nicht alles gehört zu haben, was man hört.«
»Und so eine redet von Betten und besserem Geschmack!« rief Amanda zornig. »Auf der Stelle müßte ich zu ihm gehen und es ihm erzählen.« Sie besann sich. »Ich glaube, ich muß es wirklich tun.« Sie sah zweifelnd die Tür zu Pagels Zimmer an.
»Warum soll er das denn wissen?« fragte Sophie vorsichtig. »Ihm geschieht doch kein Schade darum!«
Amanda sah die andere zweifelnd, unentschlossen an.
»Sie hätten einen Freund haben können«, flüsterte Sophie, »ganz gleich wie … Ich verstehe das, wenn man zu seinem Freund hält!«
»Der ist mein Freund nicht mehr«, sagte Amanda abweisend. »Ich bin nicht die Freundin von einem Lumpen.«
»Die andern wissen nie, wie einer richtig sein kann«, erklärteihr die Sophie. »Die sehen nur aufs Äußere. Es kann einer auch Unglück gehabt haben im Leben.«
»Ich hab gehört, daß einer aus dem Zuchthaus immer schlecht ist. In das Zuchthaus kommen nur die ganz Schlechten.«
»Es kann sich einer bessern wollen. Und falsche Urteile gibt es auch.«
»Ist er denn falsch verurteilt, Fräulein?«
Die Sophie überlegte. »Nein«, sagte sie dann zögernd.
»Das ist gut, daß Sie das gesagt haben«, nickte Amanda. »Sonst hätt ich gedacht, Sie wollen mich nur beschmusen.«
»Aber zu hart war das Urteil. Er ist bloß leichtsinnig, nicht schlecht.«
Amanda dachte nach. Sie konnte nicht nachdenken, wie sie wollte, immer kam ihr das Bild des Hänseken dazwischen. Zu dem hatte sie auch noch gehalten, als sie schon wußte, er war nicht bloß leichtsinnig, er war auch schlecht. Aber schließlich fand sie, was sie fragen wollte. »Warum sitzt er denn immer noch da oben?« fragte sie. »Wenn er sich wirklich ändern will, muß er doch arbeiten. Er ist wohl faul?«
»Das sagen Sie nicht!« rief Sophie eilig. »Er sitzt da oben …« Sie überlegte. »Wir haben noch immer nicht das Reisegeld zusammen, und dann, er hat doch damals bei der Flucht eine Kugel gekriegt …«
Sie sah Amanda an.
»Eine Kugel? Die Wachtmeister haben doch niemanden getroffen!«
»Das denken die! Aber er hat einen Schuß im Bein gehabt, hier im Oberschenkel. Und nun liegt er da oben, all die Wochen schon, ohne Arzt und richtigen Verband. Ich habe ihn gepflegt, aber jetzt soll ich ja Kartoffeln buddeln.«
Amanda sah zweifelnd in das Gesicht der andern. »Es wird jetzt soviel geklaut hier in der Gegend«, meinte sie. »Ich habe mir gedacht, das ist Ihrer, Fräulein!«
»Wo er doch immer im Bett liegen muß, Fräulein Backs,und vielleicht muß er sogar sein Lebtag hinken!« Sie dachte nach. »Mein Vater hat gesagt, es ist wieder der Bäumer, der sein Unwesen treibt.«
»Ich denke, der Bäumer ist bloß ein Wilddieb?« fragte Amanda.
»Da haben Sie eine Ahnung!« rief Sophie eifrig. »Der Bäumer macht alles! Jetzt, wo er gesucht wird, und seine Verwandtschaft in Altlohe will ihn auch nicht aufnehmen, jetzt macht er alles, hat er gesagt, wo er nicht weiß, wo er bleiben soll …«
»Woher wissen Sie denn das, Fräulein?« fragte Amanda leise. »Sie wissen ja sehr gut über den Bäumer Bescheid. Sie haben ja sogar mit ihm gesprochen!«
»Ich …«, stammelte Sophie. Aber gleich hatte sie sich wieder. »Jawohl!« flüsterte sie erregt. »Ich hab gelogen, er hat gar keinen Schuß im Bein, und er geht anschaffen, damit wir das Geld zusammenkriegen für die Fahrt! Was sollen wir denn machen, wo er gesucht wird? – Sie sind in der Andacht für Ihren aufgestanden und haben sich auch nicht geschämt. Zu seinem Freund muß man halten, grade wenn’s ihm schlecht geht! Und ich glaube nie, daß Sie uns verraten werden – Sie haben ihn ja sogar gebackpfeift, weil er ein Verräter ist!«
»Ja, meinen Freund habe ich gebackpfeift, weil er ein Verräter
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