Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
Vom Netzwerk:
sie so alle Nächte und singt. Aber wenn sie ins Bett will – sie kommt schon mit sich allein zurecht.«
    Der junge Mann warf einen raschen, prüfenden Blick auf die Försterin, die unverwandt in die Nacht hinaussah, und las weiter. Der Förster kroch in sein Hemd und dann in sein Bett, und nun lag er still da, mit geschlossenen Augen, und sein Kopf, mit dem von Sonne und Wind rotgegerbten Gesicht, mit dem weißgelblichen Bart, lag seltsam bunt auf den weißen Kissen.
    Grade aber, als der junge Pagel bei der Briefstelle war, die dem Förster aufgab, jedem vom Neuloher Gut, auch der Familie seines Schwiegersohnes, und ebenso von der Gutsverwaltung Neulohe, auch diesem jungen Schnösel, dem Pagel, das Betreten der geheimrätlichen Waldungen ein für allemal zu verbieten, grade, als der junge Wolfgang Pagel so weit in der Lektüre dieses Brand-, Fehde- und Absagebriefes war, da fing die alte Frau an zu singen.
    Sie hatte einen Finger in das Gesangbuch geschoben, aber sie sah nicht hinein. Sie sah weiter in die Nacht hinaus, und mit einer schrillen, brüchigen Stimme sang sie leise vor sich hin das alte Lied: »Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, die dein Fuß gehen kann.«
    Pagel schielte nach dem Förster hin, aber der alte Mann rührte sich nicht. Still lag der Kopf auf den Kissen.
    »Ich gehe jetzt, Herr Kniebusch«, sagte er. »Hier haben Sie den Brief wieder. Danke schön, und wie gesagt, ich werde schweigen.«
    »Schließen Sie die Tür von außen zu«, antwortete der Förster. »Der Schlüssel steckt im Schloß. Ich habe noch einen, wenn der Doktor kommt. Ich höre ihn schon kommen, ich schlafe nicht.«
    »Das Singen stört Sie wohl?« fragte Pagel.
    »Das Singen? Welches Singen –? Ach, das von meiner Frau? Nein, das stört mich nicht, das hör ich gar nicht. Ich denke immerzu nach. – Wenn Sie rausgehen, schalten Sie bitte das Licht aus, wir brauchen kein Licht.«
    »Worüber denken Sie denn nach, Herr Kniebusch?« fragte Pagel und sah auf den Förster, der regungslos, die Augen geschlossen, im Bett lag.
    »Ach, ich hab mir so was ausgedacht«, sagte der Förster ganz behaglich. »Ich denke mir so, wenn ich irgendwas in meinem Leben nicht getan hätte oder irgendwen nicht getroffen hätte – wie dann wohl alles gekommen wäre? Aber es ist eine schwierige Sache …«
    »Ja, schwierig ist das wohl …«
    »Ich denk mir zum Beispiel, wenn der Lump, der Bäumer, mich im Hohlweg nicht über den Haufen geradelt hätte, wie dann alles gekommen wäre? Es hätte doch ganz leicht so sein können, nicht wahr, Herr Pagel, ich hätte nur ein bißchen schneller zugehen müssen. Es war ja bloß im Hohlweg so dunkel, wäre ich schon aus dem Hohlweg heraus gewesen, hätte er mich von weitem kommen sehen und wäre mir ausgewichen.«
    »Und was wäre dann anders gekommen, Herr Kniebusch?«
    »Aber alles, einfach alles!« rief der Förster. »Dann, wenn mich der Bäumer nicht umgeradelt hätte, dann hätte ich seinetwegen keinen Termin in Frankfurt gehabt. Und hätte ich keinen Termin in Frankfurt gehabt, dann hätte ich den Meier nicht getroffen. Und hätte ich den Meier nicht wiedergetroffen, dann hätte er das Waffenlager nicht verraten …«
    Pagel legte nachdrücklich seine Hände über die trocknen, knochigen, altersfleckigen des Försters.
    »Ich würde mir etwas anderes zum Nachdenken aussuchen, Herr Kniebusch«, schlug er vor. »Ich würde mir ausdenken, wie’s ist, wenn Sie nun pensioniert werden und Sie haben Ihre Rente von der Angestelltenversicherung. Denn vielleicht kommt nun wirklich eine andere Zeit mit dem Geld, der Geheimrat schreibt ja auch in seinem Brief davon, Sie haben’s wohl gelesen. Und ich würde mir nun ausdenken, wie ich mir mein Leben einrichten würde; irgendeine Liebhaberei werden Sie wohl auch haben …«
    »Bienen …«, sagte der Förster mit leiser Stimme.
    »Na also, schön, Bienen sollen ja eine großartige Sache sein, über Bienen soll man ganze Bücher schreiben können. Wenn Sie’s mit so was mal versuchten –?«
    »Das ginge auch«, meinte der Förster. Dann aber schlug er zum erstenmal die Augen voll auf und sagte: »Aber Sie verstehen ja noch nicht, warum ich das andere tue, Herr Pagel. Denn wenn es nur daran gelegen hat, daß mich der Bäumer umgeradelt hat, und ich kann hundert solche Sachen in meinem Leben finden, dann bin ich doch

Weitere Kostenlose Bücher