Wolf unter Wölfen
halten, Herr Pagel. Sie haben ja Vollmacht …«
»Aber Ihr Herr Vater …«
»Ach, Papa – er wird es schon nicht so schlimm meinen. Sie sollen sehen, wenn alles ganz verwirrt ist, kommt mein Vater, bringt alles in Ordnung – und strahlt, weil er so klug sein darf. Nicht wahr, Achim, so hat es Papa doch immer gemacht –?«
Der Rittmeister nickt beistimmend mit dem Kopf, er lächelt.
»Aber ich habe kein Geld für die Leutelöhnung!« ruft Pagel verzweifelt.
»Herr Pagel! Verkaufen Sie doch irgend etwas – verkaufen Sie Kühe, verkaufen Sie Pferde! Was brauchen wir jetzt zu Winters Anfang, wo die Arbeit zu Ende ist, Pferde?! Nicht wahr, Achim, im Winter braucht man doch keine Pferde?«
»Nein.« Der Rittmeister ist einverstanden, im Winter braucht man keine Pferde.
»Der Pachtvertrag untersagt den Verkauf des lebenden Inventars. Das lebende und tote Inventar, gnädige Frau, gehört nicht Ihnen, es gehört Herrn Geheimrat.«
»Sind Sie Herr von Studmann geworden? Jetzt reden Sie sogar schon vom Pachtvertrag! – Lieber Herr Pagel, machen Sie uns keine Schwierigkeiten! Dafür haben Sie doch die Vollmacht! Es handelt sich ja jetzt nur noch um ein paar Tage …«
Pagel sieht Frau Eva fragend an.
»Ja«, sagt sie plötzlich eifrig, »ich bin überzeugt, unsere Fahrten werden jetzt Erfolg haben. Der dicke Mann ist wieder aufgetaucht mit seinem steifen Hut … Eine Weile war er fort, wir hatten die Hoffnung fast aufgegeben … Aber jetzt ist er wieder da, er nickt uns zu …«
Pagel geht.
Pagel beschafft Geld und löhnt die Leute. Pagel beschafftkein Geld, und er gibt den Leuten Korn und Kartoffeln, ein Ferkel, Butter, eine Gans …
Pagel sitzt an der Schreibmaschine und tippt:
»Wir haben noch annähernd viertausend Zentner Getreide ungedroschen liegen …«
Ist das nun wahr, oder ist es gelogen? denkt Pagel. Ich weiß es nicht. Ich habe die Getreidebücher seit Wochen nicht mehr geführt, ich komme nicht mehr durch, ich habe jede Übersicht verloren … Er seufzt. Wenn jemand nach mir diese Bude übernimmt, er muß mich für sträflich leichtsinnig halten. Es stimmt ja alles nicht … Wenn der Geheimrat das zu sehen kriegt … Pagel seufzt. Ach, das Leben macht keinen Spaß, es schmeckt mir nicht mehr. Sogar, wenn ich an Petra denke, schmeckt es mir nicht mehr. Wenn ich je wirklich zu ihr kommen sollte, ich bin überzeugt, ich werde heulen, heulen, aus reiner Nervenschwäche … Aber ich kann doch jetzt nicht weglaufen! Ich kann sie doch nicht sitzenlassen! Sie kriegen ja nicht mal mehr den Brennstoff für ihren verdammten Wagen gepumpt!
Er seufzt wieder.
»Jetzt haben Sie dreimal geseufzt, Herr Pagel«, sagt Amanda Backs vom Fenster her, »und es ist erst halb neun Uhr morgens, wie wollen Sie da durch den Tag kommen?«
»Das frage ich mich auch manchmal, Amanda«, antwortet Wolfgang Pagel, dankbar für die Ablenkung. »Aber im allgemeinen sorgt der Tag schon selber dafür, daß man durch ihn kommt, und meistens ist kein Tag so schlimm geworden, wie ich am Morgen gefürchtet, und keiner so gut, wie ich am Morgen gehofft habe …«
Amanda Backs will antworten, sie hat ungeduldig zum Fenster hinausgesehen, sie mag diese weisen Sprüche nicht hören. – Aber nun stößt sie einen Schrei aus, einen Schrei des Schreckens –: »Herr Pagel, sehen Sie doch bloß –!«
Pagel springt an das Fenster und sieht …
Er sieht etwas gekrochen kommen, über die Wiese des geheimrätlichen Parks, ein Menschentier, auf Armen und Beinenkriechend, es ist vorne von einem düsteren, schrecklichen Rot, und es schleppt etwas Langes, Braunes hinter sich nach …
Einen Augenblick steht Pagel erstarrt.
Dann schreit er: »Der Förster! Jetzt haben sie auch noch den Förster erschlagen!« und springt aus der Tür.
2
Es war gar nicht so schwierig gewesen für Wolfgang Pagel, den alten Förster Kniebusch wieder aus dem Bett zu bekommen, nachdem er ihn krank hineingelegt hatte – nicht halb so schwierig, wie es sich der Arzt gedacht hatte. Ein Mann, der sein ganzes Leben in der frischen Luft verbracht hatte, wurde so öde im Kopf, wenn er immer in der Luft des geschlossenen Zimmers lag. »Ich habe ja Angst, die Wände fallen mir über den Kopf!« klagte der Förster zu Pagel. »Es ist alles so eng – und sie will nicht, daß ein Fenster aufgemacht wird.«
Vielleicht war es nicht die Enge, war es nicht die Atemnot, waren es nicht die Bienen, die für den Winter versorgt werden mußten, war es nicht der Jagdhund, der alle
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