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Wolfgang Ambros - Die Biografie

Wolfgang Ambros - Die Biografie

Titel: Wolfgang Ambros - Die Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ambros
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gesagt: »Jetzt ist aber Schluss.« Und sie hat es so gemeint.
    Ich bin dagestanden, in dieser trostlosen Handelsakademie, und mir hat es den Boden unter den Füßen weggerissen. Im selben Zug sind wir immer noch Tag für Tag gefahren, sie allerdings jetzt in einem anderen Waggon. Ich glaube, sie hatte damals schon einen anderen, aber als Fünfzehnjähriger klammert man sich noch an den Strohhalm namens Hoffnung.
    Letztlich sind wir dann auch nicht mehr miteinander in der Handelsakademie gesessen. Ich war anwesend, aber nur körperlich, und irgendwann nicht einmal mehr das. Stattdessen hockte ich in einem Lokal in der Nähe der Schule neben dem Musikverein, in der Palette. Um zehn am Vormittag haben die aufgesperrt und plumps, war ich schon drinnen, hab mir ein Cola bestellt und gewartet, dass die Zeit zerrinnt.
    Jimi Hendrix hat mich vom Liebeskummer geheilt. Er saß in der Jukebox in der Palette und hat mich so fasziniert, dass ich alles um mich herum vergessen konnte. Als Erstes die Schularbeiten, was am Ende des Jahres mit sieben Fünfern recht hübsch dokumentiert war. Und schließlich auch die Evi.
    »Das habe ich dir gleich gesagt, dass die Handelsakademie nichts für dich ist«, sagte mein Vater. Die Mutter hat gar nichts mehr gesagt. Ich bin zu ihr betteln gegangen, ob ich vielleicht hie und da doch noch zwanzig Schilling kriege, aber Zustand war das keiner. Bis einer von meinen Kontakten aus der Palette die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt erwähnt hat, und dass das eine coole Schule sei.
    Um dort genommen zu werden, musstest du Zeichnungen herzeigen. Ich habe fleißig gezeichnet. Und ich muss sagen: Wenn ich etwas auf der Welt nicht kann, dann ist es Zeichnen. Dafür habe ich nicht das leiseste Talent. Meine Mappe habe ich trotzdem hingetragen. Damals war die Graphische noch in der Westbahnstraße, jetzt ist sie in der Leyserstraße, aber wurscht.
    Der Herr von der Aufnahme schlug das Kompendium auf und sagte: »Aha.« Aber es gäbe da eine Klasse für eine neue Druckmethode, da müsse man auch kreativ sein und Farben mischen. Und so wurde ich Siebdrucker. Warum sie mich dort ganz offensichtlich haben wollten, weiß ich nicht, und sie haben nicht gewusst, was sie sich einhandeln.
    Am ersten Schultag, ich bin wie schon so oft der Neue, bemerke ich einen Menschen, der vor einer großen Menge steht und den Leuten wild gestikulierend Vorträge über Schopenhauer hält. Der Typ, sicher der Redegewandteste in der Klasse, tut wahnsinnig gebildet und ist sofort der Wortführer. Irgendwann in der Pause kommen wir miteinander ins Reden.
    »Was bist du für einer?«, fragt er mich.
    »Ich komme aus dem Wald«, sag ich.
    »Ah, so«, sagt er, »der Wolfsgrabener Toni.«
    Wie man einer Tierart einen Namen gibt, damit man sie fortan erkennt. Seinen Namen verrät er mir nicht. Heute ist er einer meiner besten Freunde, ein Weggefährte des Wahnsinns, Poet aus Neigung und Kumpel von Gottes Gnaden. Joesi Prokopetz heißt er.
    Es war überhaupt eine grundsätzlich andere Stimmung in der Graphischen als in jeder anderen Schule davor. Allein schon, weilnur zwei Tage in der Woche Unterricht war und vier Tage praktische Arbeit in der Werkstatt, mit weißem Kittel und so. Außerdem waren dort ganz andere Leute, ich war vom ersten Tag an integriert.
    Anfangs habe ich im Heim gewohnt, im Europahaus. Da ist es fesch zugegangen, mein lieber Schwan. Nur so nebenbei habe ich einmal fallen lassen, dass ich Gitarre spielen kann, was mir völlig neue Möglichkeiten eröffnet hat, vor allem sexuelle. So bin ich draufgekommen, dass es noch andere Frauen außer der Evi aus Rekawinkel gibt. Herkunft hat man keine gewusst, Namen hat man keine gebraucht, es genügte die bloße Anwesenheit.
    Mit dem Joesi habe ich in der Graphischen den Grundstein unserer bis zum heutigen Tag andauernden Zusammenarbeit und der tiefen, immerwährenden Freundschaft gelegt. Es war eine tolle Zeit, bis zu einer himmelschreienden Ungerechtigkeit, die mir widerfahren ist. Der Druckerlehrer war mit meiner Arbeit nicht zufrieden, wollte mich schikanieren und hat irgendetwas von mir verlangt, was komplett unter meiner Würde war.
    Ich hatte damals ein bissel Unterweisung in Karate, und wie ich in meinem Zorn in den Umkleideraum renne, geht es mit mir durch. Ich nehm was aus meinen Spind, hau die Tür zu und mit der Faust drauf. Peng, ist die Spanplatte zertrümmert. Und dann, peng, ist der nächste Spind hin und, peng, noch einer. Wenn du weißt, wie das geht, ist das

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