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Wolfgang Ambros - Die Biografie

Wolfgang Ambros - Die Biografie

Titel: Wolfgang Ambros - Die Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ambros
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ein Appendix. Dort wollte ich arbeiten, dort gehörte ich hin. Und auf einmal war’s so weit. Ich nahm meine Matratze unter den Arm und verfügte mich in die Seilerstätte.
    In meiner neuen Arbeitsstätte hab ich zwar physisch nicht gewohnt wie im Musikpalais, ich lebte wieder à la carte und teilte Tisch und Bett, wie und mit wem es sich gerade ergab. Aber mit Herz und Hirn befand ich mich rund um die Uhr im Musikhaus Dreiviertel. Einen Stock über mir hatten meine Kollegen, der Blacky und die Moni, eine heiße Affäre am Laufen und gaben ihr Ausdruck, indem sie in der Mittagspause wüste Rammeleien veranstalteten. Im Erdgeschoss hielt ich allein die Stellung.
    Ich hatte einen Haufen Kunden mitgebracht und spielte mein Fachwissen aus wie einen Trumpf. Immerhin waren wir das einzige Geschäft in Österreich, das die wichtigen Neuerscheinungen direkt aus London importierte. Jede Woche kam eine Kiste mit meinen Bestellungen, auf die ich mich natürlich sofort gestürzt habe. Ich hatte einen ganz guten Riecher für das, was einschlagen könnte, mitunter lag ich aber auch enorm daneben.
    Die neue Fleetwood-Mac-Scheibe zum Beispiel, die ist gelegen wie Blei. Obwohl ich mit allen Tricks gearbeitet habe. Damals hat man noch die Plattenverkäufer angerufen, was am meisten geht, und auf das hinauf die Hitparade gereiht. Ich hab gesagt: Fleetwood Mac. Immerhin hatte ich hundert Stück bestellt, hat aber auch nichts genützt. Es war ein veritables Waterloo.
    Zuerst hat sich jeder drum gerissen, aber kaum hatten es sich die Leute angehört, kam ein herzhaftes Na-ich-weiß-nicht. Die vorige hat mir besser gefallen, hörte ich fuffzig Mal am Tag. Mir auch, musste ich zugeben, aber was sollte ich jetzt machen, ich hatte die Lieferung nun einmal da. Man kann das Morgen eben nur erhoffen, nie wissen. Es war ja auch nicht abzusehen, dass ich nach London gehe, Mick Jagger treffe und ihm eine Schallplatte verkaufe.

4
Die Geburt einer Leiche
    Mein Alltag bestand aus Schall und Rauch. Es war die Zeit von Woodstock. Man hielt sich nicht lange damit auf zu überlegen, warum das Universum entstanden ist. Man lebte in seinem eigenen Kosmos und der reichte von den Träumen im Hirn bis zum Kribbeln sonstwo. Das, was man tat, war das, was man glaubte tun zu müssen, oder man dampfte einen Joint und tat nichts mehr. Ich hab meine Platten verkauft und Frauen gevögelt. Peace und Musik zwischen den Beinen, egal, wem sie gehörten.
    Mitten hinein in diese von Tag zu Tag gelebte Weltanschauung platzte der Geschäftsführer des Musikhauses Dreiviertel mit der Nachricht, ich könnte, wenn ich wollte, in London anfangen. Bei One Stop Records, dem Laden, von dem wir die Schallplatten bezogen. Bin ich klarerweise sofort ausgeschieden aus der Firma. Rückkehrrecht hätte ich keines, gab er mir mit auf den Weg, aber wer denkt schon ans Heimkommen, wenn er sich Richtung Bond Street aufmacht. Das ist nicht nur eine noble Gegend in London, das war die Straße in den Himmel.
    Aus der Zeit in der Graphischen kannte ich einen Griechen, der mittlerweile in London lebte. Den rief ich an, das Telefonat war kurz: Du, ich komme nach England; klass, ich hole dich ab. So einfach kann das Leben sein. Mit dem Alex, einem Freund, der mir zu der Zeit Unterschlupf gewährt hatte, habe ich mich an den Stadtrand von Wien gestellt und mich per Autostopp bis Ostende durchgeschlagen. Von dort nahmen wir das Schiff über den Ärmelkanal und den Zug bis zur Victoria Station.
    Planmäßig steht der Grieche am Bahnhof, weniger planmäßigreagiert er auf Alex. »Du kannst bei mir wohnen«, sagt er zu mir, »aber ich habe nicht viel Platz, er muss halt schauen, wo er bleibt.«
    Ich mache mir mit dem Alex aus, wo wir uns am nächsten Tag treffen, schicke ihn in eine Jugendherberge und geh heim mit dem Griechen. Er zeigt mir das Bett, ich falle todmüde hinein und schwupp, liegt er schon neben mir und greift mir an Stellen, an die ich mir nur von einer Griechin hätte greifen lassen. War das ein Schwuler.
    »He«, schrei ich, »was machst du da?«
    Die Frage ist überflüssig, erfüllt aber ihren Zweck. Er lässt mich in Ruh, ist allerdings extrem angefressen, weil er der Meinung ist, es sei eh klar, wieso er mich bei sich unterkommen lässt. Sobald es hell wird, bin ich schon draußen.
    Jetzt steh ich da mit meinem Rucksack und dem Alex irgendwo in Chelsea. Ziellos streunen wir herum, es ist ein schöner, heißer Tag, viel mehr können wir nicht tun, bis ich meinen Job antreten darf.

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