Wolfgang Ambros - Die Biografie
eingeladen, obwohl ich nicht die Fleisch gewordene Hochkultur war. Und diese Feste waren keine Kindergeburtstage.
Eines schönen Tages sagt die Adele, sie hat am Kohlmarkt gewohnt, teurer ging’s nicht: »Du, in meinem Haus hat eine Gramola-Filiale aufgesperrt.«
Gramola war ein Plattengeschäft, da habe ich mich natürlich sofort interessiert.
»Ja«, plaudert das Fräulein Adele weiter, sie habe schon alles besprochen und geklärt, die würden wen brauchen und ich solle mich morgen vorstellen gehen. Mit ihr.
Bei Gramola hatte man sich auf Klassik spezialisiert, und in mir kam schon das dumpfe Gefühl hoch, dass ich mit Johannes Brahms weniger anfange als mit Bob Dylan, da lässt die Adele fallen, dass die auch eine kleine Popmusikabteilung aufmachen wollen. Na, da war ich schon dort. Habe mich vorgestellt und mein umfassendes Wissen aufblitzen lassen. Alles, was es an moderner Popmusik gegeben hat, konnte ich im Schlaf. Led Zeppelin und Animals und natürlich die Stones und die Beatles und dem Clapton seine Yardbirds, alles, was uns Mitte, Ende der sechziger Jahre die Ohren flattern lassen hat. Und die haben mich genommen.
Es war Sommer und vor mir saß ein Herr Winter. Er beäugte mich und nickte langsam. »Na ja, na dann, versuchen wir es doch einmal.« Und plötzlich war ich Plattenverkäufer.
Der Sohn vom Gramola-Boss konnte mich gut leiden. Manchmal nahm er mich im Auto mit und wir haben geplaudert. In dem jungen Winter fand ich einen Mentor, der mich in das Mysterium der klassischen Musik einwies. Er wusste sehr viel und konnte gut erklären, dass Rachmaninow keine Halskrankheit ist. Das Leben verlief wieder in halbwegs geordneten Bahnen. Und doch fehlte mir etwas. Wahrscheinlich ein Erfolgserlebnis.
Es ereilte mich aus dem Nichts. Ein Angebot vom Musikpalais, einer direkten Konkurrenz der Gramola. Die haben mich nach allen Regeln der Kunst abgeworben. Die Interessen des Betreibers, eines Herrn Doktor, lagen gleichermaßen bei Opern und Bargeld. Weshalb er das aufkommende Segment Popgeschäft auch gegen seine klassische Neigung und durchaus ernsthaft ausbauen wollte. Seine Rechnung ging allerdings nicht ganz auf.
Moderne Musik machte neugierig, aber keinen Umsatz. Die Studenten kamen in Scharen ins Geschäft, aber kaum einer hat was gekauft, weil sie alle Löcher in den Hosentaschen hatten. Ichhabe für sie Platten aufgelegt, sie haben sich alles angehört, waren begeistert und sind wieder gegangen. Eine LP hat damals um die dreißig Schilling gekostet, konnte sich auch nicht ein jeder leisten. Der Herr Doktor hob immer mahnend den Finger: »Immer dran denken, wir müssen verkaufen, gell?« Danach hat er sich ins Müllerbeisl gegenüber verfügt.
Ich war allein im Geschäft und habe das souverän geschaukelt, am Abend lagen doch immer ein paar Hundert Schilling in der Kassa. Kurz vor sechs ist der Herr Doktor wiedergekommen, hat sich das Geld rausgenommen und gesagt: »Gut gemacht!« Im Gehen wies er mich an zuzusperren, ich hatte den Schlüssel vom Geschäft.
Für so eine Situation gibt es zwei Wörter: sturmfreie Bude. Die waren für mich besonders verheißungsvoll, weil ich ja nirgendwo gewohnt habe. Im Europahaus bin ich rausgeflogen, nachdem ich aus der Graphischen rausgeflogen war, daheim hielt ich mich ohnehin nur noch sporadisch auf und sonst wechselte ich von einer WG in die andere und von einer Liebschaft für eine Nacht zur nächsten. Also habe ich mir eine Matratze gekauft und bin ins Musikpalais gezogen.
Es war die ideale Wohnung. Super Anlage, Tausende Platten, ein kuscheliges Hinterzimmerl, das von draußen nicht einsehbar war. Dort habe ich geschlafen, und das selten allein. Am häufigsten zu Gast war die Ingrid, ein Kind aus Eutin im Osten von Schleswig-Holstein. Sehr süßes Mädel, mit nordischen Zügen, halblangen Haaren und einer Stupsnase, hat mir wahnsinnig gut gefallen.
Der Herr Doktor hat meine Residenz in seinem Musikpalais kaum gestört. Er war selten zugegen, weil er im Müllerbeisl dringenden Geschäften nachging, die dann vor allem dazu führten, dass solche Kleinigkeiten wie Brutto und Netto nicht mehr recht auseinanderzuhalten waren. Eine herrliche Zeit. Meine Haberer haben mich besucht, Partytime, hollodaro. Es hat mir fast nichts mehr gefehlt. Außer mir meinen Traum zu erfüllen.
Und der hieß Musikhaus Dreiviertel. Der Olymp der Plattengeschäfte,weil dort endlich die richtigen Proportionen herrschten: Es regierte die Popmusik, die Klassik-Abteilung war bloß
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