Wolfgang Ambros - Die Biografie
auf den Mund gefallen bin ich ja nicht, und ich habe allerhand brauchbaresZeug abgestaubt. Kurz vor Weihnachten erzählte mir ein Kumpel beiläufig, er habe sich verlobt und deshalb jetzt drei Tage frei. Unter der Woche. Da schau her. Kaum war ich am Wochenende daheim, flitzte ich sofort zur Christl und sagte: »Schatzi, wir sind jetzt verlobt, gut?«
Leser: »Wie romantisch.«
Ja, was man nicht alles tut für drei Tage ohne Drill. Dann hat der andere Verlobte wiederum beiläufig gesagt: »Und jetzt gehe ich heiraten, dafür kriege ich vier Tage.« Dreimal darfst du raten, was ich gemacht hab.
Weil ich noch keine einundzwanzig war, musste ich die Zustimmung meines Vaters einholen. Er redete mir ins Gewissen, dass Heiraten eine ernste Sache sei, damit wäre nicht zu spaßen.
»Es bedeutet nichts«, erklärte ich ihm, »das ist nur wegen zwei Wochen Urlaub vom Bundesheer.« Ich weiß nicht, ob ihn das beruhigt hat, aber er hat mir den Wisch unterschrieben und ich durfte aufs Standesamt. Am 28. Dezember 1972 gaben die Christl und ich uns das Jawort. War nett, wie eine richtige Hochzeit. Eltern, ein Haufen Freunde, in einem Lokal im fünfzehnten Bezirk, dem Augustin, feierten wir unsere Vermählung, Larifari, aber lustig.
Nüchtern betrachtet war der Plan unschlagbar. Eine meiner taktisch größten Leistungen. In der Kaserne meldete ich mich zur Weihnachtswache, für die man zur Belohnung freie Tage kassierte, außerdem für den Silvesterdienst. Ich fragte zur Sicherheit, ob ich mir die Urlaubstage einteilen kann, wie ich will. Ja, hat es geheißen, und dann fehlte nur noch der Sanktus von oben. Also: Spieß-Rutenlauf. Ich machte meinen Diener, reichte alle Scheine und Stempel und Beglaubigungen ein und rechnete ihm vor: »Schauen Sie: drei Tage für die Weihnachtswache, drei Tage für die Silvesterwache, vier Tage fürs Heiraten plus zwei Wochenenden sind – vierzehn Tage.«
Der Spieß bekam hochrote Ohren. Er schnaubte, das geht nicht und sonst noch so einiges in die Richtung, dann merkte er, dass es doch geht, gab mit einem würzigen »Kruzitürken!« aufund wurde für ein paar Sekunden menschlich: »Recht haben Sie schon.« Dann schrie er: »Aber dass Sie mir ja nicht den Garnisonsbereich verlassen!« Am nächsten Tag war ich in Wengen Ski fahren.
Zwei Wochen später erschien ich braun gebrannt wieder im Hof der Albrechts-Kaserne und salutierte launig zum Gruß. Gleich darauf war die Stimmung nicht mehr ganz so pipifein, das neue Jahr begann mit der alten Schinderei. Sie ließen mich die Drecksarbeit machen und putzten sich auch sonst an mir ab. Da fielen mir der Doktor Dizi und seine Nierenschmerzen wieder ein und ohne Umschweife erkundigte ich mich bei ihm, wie man die Symptome simuliert. »Geht ganz leicht«, sagte er, »du musst nur sagen: Au! Auuuu! Auweh-auweh-auweh.«
Der Arzt in Kagran witterte die Finte natürlich sofort, er hat einen Tobsuchtsanfall gekriegt und gebrüllt: »Ja, das kennen wir schon, das kennen wir schon!« Allerdings war er mir aufgrund des Hippokratischen Eides ausgeliefert und musste mich, wie es die medizinische Verfahrensweise in diesem Fall vorsah, ins Spital schicken. Als Garnisonsarzt konnte er maximal eine Schusswunde zusammentackern, ein Nierenleiden war eine Herausforderung, der er nicht gewachsen war, also blieb ihm nichts anderes übrig, als mir den Passierschein auszustellen. Hat ihn einiges von seinem Zahnschmelz gekostet.
Mein weiterer Weg war klar: mit der Straßenbahn zum Heeresspital, kurz HSP. Beim Militär wird alles abgekürzt. HSNS, Heeressport- und Nahkampfschule; PAL, Panzerabwehrlenkwaffe; MHH, Max hat Hunger; XPM, Xaver pinkelt müde. Ich dachte mir LMAA, als ich mich um zehn am Vormittag ins HSP hineinschleppte und mich als stöhnender Nierenkranker (SNK) in mein gemachtes Bett legte. Ausgestreckt und pumperlg’sund wartete ich auf den behandelnden Arzt. Er ließ sich am Nachmittag zur Visite herab, ein Lustiger im weißen Kittel. »Na wen haben wir denn da? Ach ja, ein Simulant, gell? Dann schauen wir halt einmal genauer nach.«
Er beorderte mich zum Röntgen und veranlasste, dass manmir ein Kontrastmittel einflößte. Zu meiner absoluten Verblüffung kommt derselbe Doktor Stunden später wieder rein, diesmal mit ernsthafter Diagnose-Miene (EDM): »Sie bleiben heute da und morgen fahren Sie ins AKH.«
»Was ist denn los mit mir?«, wollte ich wissen, ganz wohl war mir nicht mehr.
Er, ganz auf Spezialist: »Wir sehen da einen Schatten und wissen
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