Wolfgang Ambros - Die Biografie
große Liebe einfach vorbei. Schon des Längeren war nicht mehr viel los bei uns und ich schwer damit beschäftigt, bis zu fünf Verhältnisse zur selben Zeit zu koordinieren. Die Beth war eines der pflegeleichtesten.
Gleichzeitig kamen wir vom Höhenflug über dem Zentralfriedhof langsam herunter. Was nicht hieß, dass es keine Turbulenzen mehr gab. Nach und nach erhärtete sich der Eindruck, ich hätte keine Band, sondern eine Bande. Insbesondere mit dem Keyboarder war ein vernünftiges Arbeiten mittlerweile ausgeschlossen. Er durchlebte eine derart exzessive Phase, dass man bei einem Auftritt weder mit seinem Erscheinen noch einem anderen Beitrag zum gemeinsamen Tun rechnen konnte. Oft genug spielte er und auf einmal war er unterm Klavier verschwunden. Kurz darauf gab auch noch der Gitarrist auf und ich schlitterte ansatzweise in eine Sinnkrise. Eine Midlife-Crisis mit vierundzwanzig.
Die Orientierungslosigkeit versetzte mich in einen Zustand flächendeckender Besorgnis. Der Hype um das Doppelalbum 19 Class A Numbers flachte ab, die Christl war weg, ich saß allein in meinem Haus in Inzersdorf, in das wir noch mitsammen eingezogen waren, ich schaute hinaus auf den Nussbaum und fragte mich, wie sich das Blatt wenden könnte. Just in dem Moment kam mir einer von Beths sehnsüchtigen Briefen aus Amerika unter, in denen sie mich seit ihrer Abreise vor einem Jahr ein ums andere Mal fragte, warum ich denn nicht schon im Flieger säße.
Leser: »Sehr ausdauernd, die Dame.«
Unter anderem. Ich hatte ihr immer zurückgeschrieben, aber nie wirklich geantwortet. Bis jetzt. Ich buchte den Flug nach NewYork, ein One-Way-Ticket in die Metropole der Möglichkeiten. Ich sah es als neuen Anfang, aus dem sich das Nachher von selbst ergeben würde.
Dass es auf keinen Fall ein Nachher ohne Musik sein konnte, war das Einzige, was ich schon vorher wusste. Aber auch auf diesem Gebiet wollte ich von vorn beginnen, deshalb hatte ich meine Gitarre gar nicht mitgenommen. Ich wollte mir in einem der drei Musikhäuser, die in der 42nd Street nebeneinander lagen und das Disneyland für Musiker darstellten, endlich das Instrument leisten, von dem ich schon als Kind geträumt hatte: eine Martin.
C. F. Martin & Co., Inc. ist eine Instrumentenbaufirma in den USA. Ihre Gitarren tragen das Prädikat: perfekt. Der Gründer, Christian Friedrich Martin senior, stammt merkwürdigerweise aus Markneunkirchen und ließ sich Anfang des 19. Jahrhunderts in Wien nieder. Die Innung der Geigenbauer machte ihm allerhand Schwierigkeiten, worauf er nach New York auswanderte und dort ein klangvolles Imperium aufbaute. Die Martin-Gitarre ist heute kein Instrument, sondern ein Lebenswerk an Tüftelei, das saitenweise den Ton angibt. Und dann hielt ich sie in der Hand, meine Martin. Es war noch erhebender als der Augenblick, in dem ich mit Beth, die mich vom Flughafen abgeholt hatte, das erste Mal über die Brooklyn Bridge rollte und vor mir die Skyline von New York in der Dämmerung in den Himmel wuchs. So hat Frank Sinatra das also gemeint. Wenn du es hier schaffst, schaffst du es überall.
Der Eindruck vertschüsste sich merklich, als ich mein neues Zuhause betrat. Beths Wohnung war gut gelegen, praktisch in der Mitte von Manhattan, aber wenn man sie nicht mit den Augen der Verliebtheit betrachtete, war es ein Souterrainloch. Lange hatte ich allerdings nicht Zeit, mich zu fragen, was mich hierher geritten hatte, Beth zeigte es mir. Ihre Begrüßung war der nackte Wahnsinn. Und dem folgte einer in Uniform. Sie kündigte ihn sachte an: Sie müsse morgen zeitig aufstehen, ich solle mir ein Frühstück machen, dort wäre der Eiskasten, am Abend sei sie wieder zurück.
»Wo gehst du denn hin so früh?«, fragte ich sie.
»Arbeiten«, sagte sie und rollte sich an meiner Schulter ein.
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich gar nicht wusste, womit sie ihr Geld verdiente.
»Ich bin Polizistin«, sagte sie.
» Was bist du?«
»Bei der Polizei«, murmelte Beth in meinen Hals, »verdeckte Fahndung.«
»In welcher Hinsicht?«, wollte ich wissen, während mich ein leiser Verdacht beschlich.
»Drogen.« Sie kuschelte sich dabei noch enger an mich. Ich hab kaum verstanden, was sie unterhalb meines Ohrläppchens noch so alles loswurde. »DEA … Drug Enforcement Administration … setzt Lockvögel an … Frauen wie mich … Razzia …«
Ich hatte einen Lockvogel gevögelt. Meine jüdische Prinzessin spielte die Lustige, machte sich an Dealer heran und lochte sie ein.
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