Wolfsangriffe. Fakt oder Fiktion? (German Edition)
negativ auf Tollwut. Es handelte sich offensichtlich um einen gesunden, wilden Wolf, der mit 35 Kilo jedoch ein wenig zu leicht schien. Der kleine John wurde nach Yakutat geflogen und dort medizinisch versorgt.
Der Wolf, ein fünfjähriger Rüde, hatte vor vier Jahren etwa 160 Kilometer vom Camp entfernt ein Sendehalsband erhalten. Seit Anfang 1999 war er öfter in der Nähe des Holzfällercamps gesehen worden. Im April 1999 tauchte er in der Nähe der Straße auf, wo ein Truckfahrer noch am Tag zuvor einem unbesenderten Wolf etwas zu Fressen hingeworfen hatte. Es scheint also, als seien an diesem Ort früher bereits Wölfe von Menschen gefüttert worden, wenngleich die Untersuchungen nach dem Angriff keine Hinweise dafür ergaben, dass die Wölfe seit April 1999 gefüttert worden waren.
Die Campbewohner hatten den Wolf mit dem Radiohalsband im Sommer 1999 oft dabei beobachtet, wie er an der Grenze zum Camp stand oder dort entlanglief. Er schien den natürlichen Wanderweg zwischen dem Wald und dem nahe gelegenen Strand zu benutzen. Im April 2000, in den letzten Tagen vor dem Angriff, zeigte der Wolf immer deutlicher furchtloses Verhalten, wanderte gelegentlich mitten durchs Camp und ignorierte dabei die Bewohner. Vor dem Angriff auf das Kind hatte das Tier jedoch nie aggressiv Menschen gegenüber reagiert.
Algonquin Provincial Park, Ontario, 1998
Im Juni 1998 beobachteten Besucher vermehrt einen furchtlosen Wolf in der Nähe von Two Lakes im Algonquin-Park. Vier Wildbiologiestudenten hatten mit dem Wolf länger als 40 Minuten Kontakt. Sie schilderten das Tier als »vorsichtig und neugierig, nie ängstlich. Er schien seine Begegnung mit uns sehr zu genießen, ähnlich wie ein Hund.« Die Studenten beschrieben, dass der Wolf ihr Verhalten imitierte, sich langsam bis auf wenige Meter näherte, dann zurücksprang und das Repertoire wiederholte.
Vielleicht hatte der Wolf auf Zeltplätzen Essen gefunden, aber Parkbeamte fanden keine Hinweise, dass er gefüttert worden war. Auch hatte niemand gesehen, dass er Abfälle fraß. Den ganzen Sommer hindurch wurde das Tier fast täglich beobachtet, vermutlich von Tausenden Menschen. Camper, die begeistert waren, einen wilden Wolf so nah zu sehen, berichteten, dass er sich an der Nähe zu Menschen nicht zu stören schien. Jedoch hatte er schon drei Mal Hunde der Camper angegriffen.
Ende September änderte sich das Verhalten des Wolfes plötzlich, als er einen Mann und eine Frau verfolgte, die mit ihrer vierjährigen Tochter spazieren gingen. Der Wolf schien sich dem Kind nähern zu wollen. Die Eltern verhinderten dies, indem sie sich zwischen das Kind und den Wolf stellten und den Wolf mit Pfefferspray ansprühten. Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich weiter zu nähern. Als die Mutter mit dem Kind in einen nahe gelegenen Wohnwagen flüchtete, verlor der Wolf das Interesse an ihnen und verließ das Camp.
Am nächsten Tag griff der Wolf einen vierten Hund an. Am 27. September tauchte er am Two-Rivers-Zeltplatz aus dem Gebüsch auf und näherte sich einem Ehepaar mit zwei Kindern. Die Familie hatte gepicknickt und packte gerade zusammen. Eines der Kinder, ein 19 Monate alter Junge, saß auf dem Boden, sechs Meter von seinem Vater entfernt. Der Wolf schnappte den Kleinen am Brustkorb und warf ihn etwa einen Meter in die Luft. Die Mutter riss das Kind vom Boden hoch und kletterte mit ihm auf einen Picknicktisch. Der Vater und andere Camper jagten den Wolf fort. Der Junge hatte Bisswunden an Brust und Rücken. Die Behörden gingen davon aus, dass der Angriff ein versuchter Beuteangriff war.
Der Wolf wurde noch am selben Tag gefunden und getötet. Tollwuttests waren negativ und auch sonst schien er normal zu sein. Das Tier hatte ein DNA-Profil, das typisch für die Wölfe im Algonquin-Park ist, es war also weder ein entwichener Zoowolf noch ein Hybride. Im Algonquin-Park hatten zwischen 1987 und 1996 Wölfe bereits in vier anderen Fällen Menschen angegriffen. In diesem fünften Fall jedoch sind die Elemente eines Beuteangriffs deutlich sichtbar. In allen fünf Fällen zeigten die Wölfe durch ihr Verhalten, dass sie vor den Beißzwischenfällen an die Nähe von Menschen gewöhnt und/oder von ihnen gefüttert worden waren. Zu diesem Zeitpunkt hatten seit 1970 schon zwölf Wölfe bemerkenswertes Gewöhnungsverhalten gezeigt. Vier von ihnen waren später in Beißereien verwickelt.
Bei allen Vorfällen im Algonquin Provincial Park sind sich die Biologen über die
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