Wolfsangriffe. Fakt oder Fiktion? (German Edition)
Schreien wegzujagen, worauf sie nicht reagierten. Als er einen Schneeball nach ihnen warf, jagten sie dem Ball nach.
All diese Zwischenfälle betrafen das Druid-Peak-Rudel. Aber auch ein anderes Wolfsrudel näherte sich im Winter 2001/02 des Öfteren Besuchern. Im Gibbon-Meadow-Gebiet liefen Wölfe auf Schneemobile zu. Diese Tiere stammten vor ihrer Wiederansiedlung ursprünglich aus British Columbia. Dort waren sie von Schneemobilen gejagt worden, sie hätten also eine natürliche Angst vor diesen Fahrzeugen haben müssen – nicht jedoch in diesem Winter.
Im Winter 2004 jagte und tötete das Swan-Lake-Rudel (10 bis 12 Wölfe) insgesamt vier Wapitihirsche in Mammoth bei den Unterkünften der Parkangestellten. Einen Hirsch jagten sie sogar über das Footballfeld der Schule. Betont werden muss dabei, dass dieses Wolfsrudel nicht an Menschen gewöhnt war, sondern lediglich bei der Jagd »im Eifer des Gefechts« in die Nähe der Wohngebäude geriet. Die Besorgnis der Bewohner veranlasste den Direktor des Wolfsprogramms, Doug Smith, ein Rundschreiben mit Anweisungen herauszugeben, wie sich die Leute den Wölfen gegenüber verhalten sollten.
Am 19. Mai 2009 musste in Yellowstone ein Jährling der Gibbon-Meadow-Wolfsfamilie getötet werden, weil er sich wiederholt Menschen genähert hatte. Mehrmals hatte er Radfahrer und Motorradfahrer gejagt, offensichtlich in der Erwartung, Futter zu bekommen. Trotz zahlreicher Versuche, ihn mit Silvesterkrachern und Gummikugeln zu verjagen, kehrte der Wolf immer wieder zurück.
Schließlich verfolgte und jagte er eine Frau mit ihrem Fahrrad. Die verängstigte Frau hielt einen Pick-up an, der sie nach Hause brachte. Als eine leere Öldose von der Ladefläche des Autos rollte, schnappte sich der Wolf die Dose und lief davon – ein eindeutiges Zeichen, dass er zuvor gefüttert worden war.
»Vermutlich wollte der junge, neugierige Wolf niemandem Böses tun”, sagte Doug Smith Reportern. »Aber wir können nicht riskieren, dass ein Wolf jemanden verletzt.«
Am 8. Oktober 2011 wurde im Yellowstone Nationalpark von Beamten ein Wolf getötet, der sich mehrmals und längere Zeit Menschen genährt hatte.
Mindestens sieben Mal seit Juli hatte sich das 55 Kilo schwere Tier in der Nähe von Old Faithful und Fishing Bridge Angestellten und Touristen genähert. Der Wolf gehörte zu den Mollies und kam aus dem Pelican Valley. Er war zwei bis vier Jahre alt.
Eine besondere Form von »Überreaktion« präsentierte ein Wanderer in Yellowstone. Der Mann, der allein unterwegs war, traf auf eine Wolfshöhle. Da alle Gebiete rund um Wolfshöhlen im Frühjahr für Wanderer gesperrt sind, hat er sich dort offensichtlich illegal aufgehalten. Die Wölfin kam aus der Höhle und bellte ihn an, was er als Knurren empfand. Daraufhin besprühte er das Tier mit seinem Bärenspray an und rannte davon. Wolfsgegner interpretierten das Verhalten der Wölfin in den Medien sofort als »Wolfsangriff«.
Es ist aber völlig normal, wenn ein Wolf einen vermeintlichen Eindringling in der Nähe der Höhle oder des Rendezvousgebietes anbellt. Damit warnt er sowohl den Störenfried als auch den eigenen Nachwuchs. Dies bedeutet keine Gefahr für Menschen, sondern nur eine Form von »Ablenkung«, die dem Rest der Familie Gelegenheit gibt, sich in Sicherheit zu bringen. Erstaunlich jedoch, welche Reaktionen es beim Zweibeiner hervorrufen kann.
Mir selbst haben sich in den vielen Jahren, die ich Wölfe beobachte, oft einzelne Tiere genähert, absichtlich oder zufällig. Stets haben sie mich entweder ignoriert oder sind – nach einem kurzen Augenblick der Begutachtung – davongelaufen, sobald ich mich bewegt habe. Das Verhalten der Jährlinge am Kadaver (im Februar 2002) könnte man wie folgt erklären: Das Druid-Rudel bestand damals neben den erfahrenen Eltern Nummer 21M und Nummer 42F aus zwölf einjährigen Jungtieren und nur einem weiteren erwachsenen Tier. Alle anderen älteren Wölfe waren abgewandert. So viele neugierige »Teenager« unter Kontrolle zu halten, ist wahrlich keine leichte Aufgabe für ein Elternpaar. Die beiden Jungwölfe waren unbeaufsichtigt am Hirschkadaver, das Hauptrudel hatte sich beim Eintreffen der Touristen zurückgezogen. Ich bin überzeugt, dass die Wölfe sich nie Menschen genähert hätten, wenn die Elterntiere in der Nähe gewesen wären. So aber verhielten sich die Jungwölfe wie menschliche Jugendliche, deren Eltern nicht anwesend sind, und »untersuchten« die Zweibeiner. Neugier oder
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