Wolfsblut
daß man keinen Schlag bekam.
So wußte Wolfsblut nichts von dem, was die Hand eines Menschen für ihn Gutes enthalten könnte. Auch liebte er die Hände der Menschen nicht; sie waren ihm verdächtig. Zwar teilten sie manchmal Fleisch aus, doch öfter noch Pein und Schmerz. Es war besser, ihnen fernzubleiben. Mit ihnen wurden Steine geworfen, Knüttel und Peitschen geschwungen, Schläge und Püffe ausgeteilt, und wenn sie einen anrührten, so zwickten, knufften und kniffen sie. In den fremden Dörfern lernte er auch die Kinderhände kennen und erfuhr, wie grausam die sein können. Einmal wäre ihm fast ein Auge von einem Bürschchen, das kaum gehen konnte, ausgestoßen worden. Solche Erfahrungen machten ihn gegen alle Kinderhände mißtrauisch. Er mochte sie nicht leiden, und wenn sie mit den unheilverkündenden Händen ihm zu nahe kamen, so stand er auf und ging weg.
In einem Dorfe am Großen Sklavensee lernte er eine Abänderung des Gesetzes kennen, das ihm der Graue Biber eingebleut hatte, des Gesetzes, daß es ein unverzeihliches Verbrechen sei, einen Menschen zu beißen, indem er sich gegen ein ihm zugefügtes Unrecht empörte. In dem Dorfe ging Wolfsblut, wie es die Hunde zu tun pflegen, auf Raub aus. Ein Indianerknabe hieb gerade mit einem Beil gefrorenes Elchfleisch in kleine Stücke, und es flogen Bröckchen davon in den Schnee. Wolfsblut, der gerade vorbeischlich, blieb stehen und begann die Bröckchen zu verzehren. Da sah er, wie der Bursche das Beil niederlegte und einen derben Knüttel ergriff. Wolfsblut sprang zur Seite, als der Schlag ihn eben treffen sollte. Der Junge verfolgte ihn, und da Wolfsblut im Dorfe fremd war, so verirrte er sich zwischen zwei Wigwams und sah plötzlich einen hohen Erdwall vor sich. Hier war kein Entkommen. Der einzige Ausweg führte an den Wigwams vorbei, und den hütete der Knabe. Indem dieser den Knüttel hochhielt, ging er auf das in die Enge getriebene Tier los. Wolfsblut war wütend. Sein Gerechtigkeitsgefühl war verletzt, und er kehrte sich zähnefletschend und mit gesträubtem Haar gegen den Knaben. Er wußte, daß alle Fleischabfälle den Hunden gehörten, die sie fanden. Er hatte darum nichts Unrechtes getan, kein Gesetz verletzt, und doch wollte der Bursche ihn schlagen. Wolfsblut wußte kaum, was er tat, so sehr übermannte ihn die Wut, und es geschah alles so schnell, daß auch der Knabe erst zur Besinnung kam, als er sich im Schnee liegend fand, während die Hand, welche den Knüttel hielt, eine breite Wunde von Wolfsbluts Zähnen zeigte.
Aber Wolfsblut wußte, daß er das Gesetz übertreten hatte, indem er das geheiligte Fleisch eines Gottes mit den Zähnen zerrissen hatte; und eine schreckliche Strafe konnte seiner nur warten. Er lief zu dem Grauen Biber, hinter dem er sich verkroch, als der gebissene Knabe, von der ganzen Familie gefolgt, kam, um Rache zu verlangen. Der Graue Biber verteidigte Wolfsblut, dasselbe taten Mitsah und Klukutsch. Wolfsblut, der den Wortwechsel anhörte und die ärgerlichen Gebärden beobachtete, begriff, daß seine Handlungsweise gerechtfertigt wurde, und er lernte einsehen, daß es auch unter den Göttern einen Unterschied gebe. Ob Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit in den Handlungen sei, das war einerlei! Von den eigenen Herren mußte man alles hinnehmen! Doch von anderen sich Ungerechtigkeiten gefallen zu lassen, dazu war man nicht verpflichtet. Da hatte man das Vorrecht, die Zähne zu gebrauchen – so wollten es die Götter!
Ehe der Tag zu Ende ging, sollte Wolfsblut noch mehr über dies Gesetz erfahren. Als Mitsah im Walde Brennholz sammelte, traf er auf den gebissenen Jungen. Eine Menge Knaben waren bei ihm, und es kam zu heftigen Worten. Alle griffen Mitsah an, dem es übel erging, denn es regnete auf ihn Schläge von allen Seiten. Zuerst sah Wolfsblut zu. Es war eine Angelegenheit der Menschen und ging ihn nichts an. Als ihm jedoch klar wurde, daß Mitsah, einer seiner Herren, mißhandelt wurde, da ließ ihn zwar kein bewußter Trieb handeln, aber von wildem Zorn getrieben, sprang er unter die Kämpfenden. Fünf Minuten später flohen die Knaben nach allen Richtungen, und der Schnee färbte sich mit ihrem Blut, zum Zeichen, daß Wolfsbluts Zähne bei einigen nicht müßig gewesen waren. Als Mitsah das Erlebnis den Seinen im Lager erzählte, ließ der Graue Biber Wolfsblut Fleisch, sogar sehr viel Fleisch, geben, und dieser lag darauf vollgestopft und schläfrig vor dem Feuer und wußte, daß er recht getan
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