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Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall

Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall

Titel: Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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dieser Ring an einem Finger gesteckt haben, der wiederum zu einer Hand gehört hatte ...«
    »Die wiederum an einem menschlichen Arm angewachsen war und so weiter und so fort«, vollendete der Gerichtsmediziner.
    »Genau!«
    »Ja, aber so ganz abwegig ist das doch wohl auch nicht. Oder seh ich da etwas grundlegend falsch?«
    »Rainer, das ist eine Tierkörperbeseitigungsanlage, kein Friedhofskrematorium.« Tannenberg raubte den Platinring aus Dr. Schönthalers Hand, hielt ihn demonstrativ in die Höhe. »Den hat garantiert ein reicher Metzger verloren, als er Schlachtabfälle in den Container geworfen hat. Oder er hat den Ehering aus lauter Wut weggeworfen. Vielleicht weil er gerade erfahren hat, dass seine liebe Leonie ihn betrügt.«
    Den Rechtsmediziner schien diese Argumentation nicht sonderlich zu überzeugen. Nachdenklich presste er die Lippen aufeinander, wiegte den Kopf skeptisch hin und her.
    »Wolf, ich weiß nicht«, begann er, legte aber sogleich eine kurze Denkpause ein.
    Er drückte sich räuspernd von seinem Stuhl in die Höhe und ging ein paar Schritte im Raum umher. Dann blieb er unvermittelt stehen, fixierte Tannenberg mit einem stechenden Blick.
    »Wenn ich mir’s so recht überlege, wäre eine derartige Leichnamsentsorgung eigentlich der perfekte Mord. Sofern es keine anderen Täterspuren oder Zeugen gibt. Denn ein Mord ohne Leiche ...« Er brach ab, durchfurchte seine Haare mit den gespreizten Fingern. »Wolf, du weißt doch selbst am besten, wie ausgesprochen schwierig die Beweislage sich in solch einem Falle gestaltet.«
    In Tannenbergs Bewusstsein tauchte die Erinnerung an ein bis heute ungeklärtes Tötungsdelikt vor vielen Jahren auf. Deshalb nickte er stumm.
    »Das Fatale an einer Einäscherung, die ja bei über 1200 Grad stattfindet, ist nämlich, dass du nach dieser enormen Hitzeeinwirkung keinerlei DNA-Spuren mehr finden kannst. Das übersteht nur ein Ring.«
    »Aber auch nur ein Platinring, mein lieber Rainer. Der hat nämlich einen Schmelzpunkt von fast 1800 Grad, Gold dagegen nur 1000 und ein paar Zerquetschte. Das haste wohl nicht gewusst, du alter Klugscheißer, oder?«
    Dr. Schönthaler reagierte nicht auf die Frage. Er zog einen Bleistift vom Schreibtisch und ließ ihn gedankenversunken über seine Fingerkuppen rollen. Ein paar Sekunden verstrichen, bis er fortfuhr: »Das heißt, ein menschlicher Organismus verschwindet im Krematorium spurlos. Da bleibt nichts mehr von ihm übrig.«
    »Außer ein bisschen Asche.« Erneut kehrte für einen Moment besinnliche Stille in Tannenbergs Dienstzimmer ein. »Trotzdem glaub ich nicht an eine Mordopferbeseitigung.«
    »Aber warum denn nicht, Wolf?«
    »Weil bei uns hier in der Gegend zur Zeit keine einzige männliche Person vermisst wird. Das haben die Kollegen aus Kusel schon abgeklärt. Und der Gravurtext spricht wohl eindeutig für einen Mann, oder etwa nicht?« Tannenberg schickte einen fragenden Blick hinüber zu seinem Freund.
    »Doch, das sieht wohl ganz danach aus«, hatte Dr. Schönthaler zunächst kopfnickend bestätigt. Aber mit einem Mal warf er die Stirn in Falten und korrigierte sich: »Muss aber auch nicht sein.«
    »Wieso?«
    »Na, es könnte ja wohl auch eine Frau in Betracht kommen.«
    Tannenbergs um diese Uhrzeit manchmal etwas vernebelter Geist wurde von einem grell aufflammenden Blitzlicht erleuchtet. »Ach so, verstehe, was du meinst: ein Lesbenpaar.«
    »Ja, genau. Gibt es denn eine vermisste Frau?«
    Der Leiter des K1 wühlte in den zur Seite geräumten Papieren herum, bis er schließlich fündig wurde. Er wedelte mit einem Ausdruck aus der Vermisstendatei.
    »Die Kollegen haben mir nur das hier mitgebracht«, sagte er, während er sogleich den Text querzulesen begann. »Da steht, dass vor etwa zwei Monaten eine gewisse Frau Isolde Decker, wohnhaft in Idar-Oberstein, spurlos aus ihrem normalen Lebensumfeld verschwunden ist. – Aber das ist doch Quatsch!«
    »Warum?«
    »Rainer, die Frau wurde 1936 geboren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die eine Liebesbeziehung mit einer Leonie hatte. Das ist doch ein ganz moderner Name.«
    Der Rechtsmediziner strich sich nachdenklich übers Kinn. Dann machte er eine wegwerfende Handbewegung. »Ist aber auch zunächst einmal egal. Viel wichtiger ist die Klärung der Frage, ob die Person, die diesen Platinring getragen hat, noch lebt oder ob sie in dieser Tierkörperbeseitigungsanlage auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist.«
    Tannenberg warf energisch seinen Kopf hin und her.

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