Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
erfordern eben nun mal besondere Maßnahmen!«
Die Tatsache, dass sein Mitarbeiter nun nicht mehr zur Gegenrede fähig war, nutzte der Leiter des K1 zu einem kurzen Grundsatz-Statement: »Geiger, du alte Pfeife, hast du denn wirklich geglaubt, ich lasse mir so einfach einen oder sogar zwei Morde anhängen und mich in U-Haft stecken? Ich sag dir nur eins: Ich kann mich zwar leider immer noch nicht an das erinnern, was in dieser verdammten Wohnung passiert ist ...«
Er brach ab, blickte auf seine Armbanduhr. »Aber in maximal zwölf Stunden weiß ich wieder, was da los war. Nur etwas kann ich dir jetzt schon sagen: Ich weiß hundertprozentig, dass ich niemals vorsätzlich einen Menschen umbringen könnte. Mir ist zwar völlig unklar, was für ein mieses Spiel hier mit mir veranstaltet wird und wem ich das alles zu verdanken habe, aber ich werde es schon irgendwie rauskriegen. Das garantier ich dir – und wenn ich dabei draufgehen sollte!«
Nach diesen martialischen Worten verschloss Tannenberg die Badezimmertür und eilte in die Abstellkammer, wo sein großer Wanderrucksack normalerweise ein recht unbeachtetes Dasein fristete. Er packte einige für seine geplante Exkursion wichtige Dinge zusammen. Dabei entledigte er sich seiner schwarzen Lederjacke, die er die ganze Zeit über getragen hatte.
Als er sie von seinem Körper abstreifte, fühlte er plötzlich einen flachen Gegenstand, der in einer der Innentaschen steckte. Er zog den Reißverschluss auf und entdeckte ein gelbes Reclambändchen. Es trug den Titel ›Leviathan‹, Verfasser: ein gewisser Thomas Hobbes.
Natürlich war Tannenberg sehr verwundert über diesen mysteriösen Fund und stellte sich auch gleich die nicht gerade unwesentliche Frage, wie und wo dieses Büchlein wohl den Weg in seine Jacke gefunden haben mochte. Allerdings konnte er zum gegenwärtigen Zeitpunkt dieses interessante Thema nicht weiter vertiefen, schließlich war er ja seit ein paar Minuten auf der Flucht.
Und da zählte jede Sekunde Vorsprung, die er seinen Häschern abtrotzen konnte. Denn etwas war ihm sonnenklar: Durch den Mordverdacht und die Aktion mit Geiger war er urplötzlich zu einer der meistgesuchten Personen Deutschlands geworden.
Hätte ich nie gedacht, dass mir mal so was passieren könnte, sagte er kopfschüttelnd zu sich selbst, während er Geigers Dienstwaffe im Rucksack verstaute.
In den nächsten Minuten zog sich Tannenberg geschwind um und führte noch zwei wichtige Telefonate. Nachdem er sich kurz von seiner Familie und Kurt verabschiedet hatte, machte er sich mit Mariekes Motorroller auf den Weg in eine äußerst ungewisse Zukunft.
5
Nun bediente sich Tannenberg bereits zum zweiten Mal in einer existenzbedrohenden Notlage des Scooters seiner Nichte. Zwar war er damals, als er seinen zum Serientäter mutierten ehemaligen Klassenkameraden auf Mariekes Roller durch die engen Straßen des Musikerviertels verfolgt hatte, ebenfalls direkt betroffen gewesen, schließlich hatte der mehrfache Frauenmörder ein heimtückisches, lebensgefährliches Rätselspiel mit ihm veranstaltet.
Aber diesmal war die Ausgangssituation eine völlig entgegengesetzte, denn diesmal stand er auf der anderen Seite des Gesetzes. Er war nicht Opfer, sondern potentieller Täter, schließlich wurde er des zweifachen Mordes bezichtigt. Und vor allem: nicht er jagte, sondern er wurde gejagt.
Als Tannenberg die Stadt auf der B 40 in Richtung Alzey verließ, beschäftigten sich seine Gedanken mehr als ausgiebig mit der Frage, ob er vorhin bei seinem doch recht überhasteten Aufbruch wohl alles richtig gemacht hatte.
Bereits im Büro des Kriminaldirektors war sein Entschluss gereift, für die geplante Flucht weder sein eigenes Auto noch das seines Bruders zu benutzen. Die Variante mit Mariekes Scooter dagegen bot gleich mehrere Vorteile: Zum einen erschien es ihm eher unwahrscheinlich, dass irgendeiner seiner Kollegen überhaupt Kenntnis von der Existenz dieses Gefährts besaß.
Denn die peinlichen Ereignisse, mit denen diese dramatische Verfolgungsjagd damals einhergegangen war, hatte Tannenberg aus guten Gründen für sich behalten, sie auch nicht in irgendeinem Bericht erwähnt. Er selbst hatte den Scooter außer bei diesem einen Mal nie mehr benutzt. Auch Marieke hatte den Motorroller nach den schrecklichen Geschehnissen in der Trippstadter Schlossklinik, in die ihr Freund Max nach einem Motorradunfall eingeliefert worden war, nur noch selten angerührt. Seitdem stand er relativ
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