Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
unbeachtet in der Garage. Nur wenn Betty das Familienauto benötigte, griff Heiner manchmal auf den Roller zurück.
Und zum zweiten erlaubte ihm das Tragen von Heiners Integralhelm, sich quasi inkognito durch die Gegend zu bewegen.
Natürlich hatte die Gefahr bestanden, dass der im Badezimmer gefesselte Geiger möglicherweise etwas von der Wahl seines zweirädrigen Fluchtfahrzeuges mitbekommen konnte. Diesem Umstand war Tannenberg dadurch begegnet, dass er den Scooter in die Parkstraße geschoben und ihn erst dort gestartet hatte. Diese Maßnahme hatte ihm genügend Schallschutz gewährt, um sich von Geiger akustisch unbemerkt aus dem Staube machen zu können.
Tannenbergs Hoffnungen richteten sich darauf, dass seine Kollegen, nachdem sie seinen roten BMW in der Garage entdeckt hatten, entweder auf die Idee kommen würden, dass er zu Fuß geflüchtet und irgendwo in der Stadt untergetaucht sei oder dass er mit Hilfe der Deutschen Bahn das Weite gesucht habe – eine Hypothese, die sich seiner Meinung nach allein schon aufgrund der räumlichen Nähe seiner Wohnung zum Hauptbahnhof geradezu zwangsläufig aufdrängte.
Selbstverständlich war er vor dem Hintergrund seiner langjährigen kriminalistischen Berufstätigkeit in der Lage, sich sehr gut in die Denkstrukturen und Handlungsmuster der ermittelnden Beamten hineinzuversetzen. Folglich erschien es ihm auch ziemlich naheliegend, dass irgendjemand demnächst auf die Idee kommen würde, dass Tannenberg versuchen könnte, Kontakt zu Eva Glück-Mankowski aufzunehmen. Und zwar deshalb, weil sie ihm mit ihrer psychologischen Fachkompetenz unter anderem bei der Bewältigung seiner Amnesie hilfreich zur Seite stehen könnte.
Und genau aus diesem Grunde fuhr Tannenberg ja auch nach Mainz.
Da er eine solche Vorgehensweise seiner Kollegen als Möglichkeit in Betracht zog, hatte er mit seinem Bruder vereinbart, dass Heiner etwa zwei Stunden nach seinem Aufbruch Geiger ›zufällig‹ entdecken sollte. Diese Zeitspanne müsste ihm nach seinen Berechnungen ausreichen, um die Strecke bis nach Mainz-Lerchenberg mit dem getunten Scooter zurückzulegen. Angst, dass man Geiger bereits früher suchen würde, hatte er nicht, schließlich hatte der Oberstaatsanwalt im Beisein Kriminaldirektor Eberles höchstpersönlich Tannenberg ausreichend Zeit eingeräumt.
Wer außer den beiden, die zudem gegenwärtig genügend andere Probleme zu bewältigen hatten, sollte Geiger denn eigentlich vermissen? Die Kriminalbeamten des K1 zumindest waren aus dem Spiel. Und die mit den unangenehmen internen Ermittlungen betrauten Kollegen aus Pirmasens würden ihre Arbeit sowieso erst am nächsten Morgen aufnehmen.
Zudem hatte Tannenberg von vornherein nicht vorgehabt, sich sonderlich lange bei Eva aufzuhalten, schließlich lag sein eigentlicher Zielort ja wo ganz anders. Aber die zermürbende Ungewissheit angesichts der nach wie vor existierenden Amnesie belastete ihn derart stark, dass er unbedingt vorher Evas kriminalpsychologische Fachkompetenz in Anspruch nehmen musste.
Er fuhr gerade durch eine kleine Ortschaft namens ›Dreisen‹, als sich erneut die quälenden Gedanken an die brutal ermordete junge Studentin Zutritt zu seinem Bewusstsein verschafften.
»So ein Wahnsinn!«, brummelte er in seinen Helm hinein. »Ich und einen Menschen umbringen. Im Vollrausch. Vollrausch – nach einer Flasche Wein! Dass ich nicht lache. Jeder, der mich kennt, weiß doch ganz genau, dass ich noch nie aggressiv geworden bin, wenn ich etwas getrunken habe. Da werde ich doch immer sanft wie ein Lamm. Aber warum hat man sie umgebracht? Und warum will man mir die Sache in die Schuhe schieben? Wem bin ich denn auf die Füße getreten?«
Weiter kam er nicht, denn urplötzlich sah er ausgangs der Kurve einen auf der rechten Straßenseite vor einem Schnellimbiss geparkten Streifenwagen mit MZ-Kennzeichen. Vor Schreck hätte er fast die Kontrolle über den Scooter verloren.
Schnell wenden?, schoss es ihm blitzartig ins Hirn.
Aber für eine Entscheidung dieser Art war es bereits viel zu spät. Er befand sich fast auf Höhe der beiden, schwatzend vor der Imbissbude an einem Bistrotischchen stehenden Beamten. Entsetzt starrte er hinüber zu ihnen. Doch die uniformierten Kollegen würdigten ihn nicht eines einzigen Blickes.
Gott sei Dank, atmete er erleichtert auf. Gerade nochmal Glück gehabt.
Sein pochender Herzschlag beruhigte sich allmählich wieder. Ohne sich in diesem Augenblick darüber im Klaren zu sein, dass er
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