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Wolfsfeder

Wolfsfeder

Titel: Wolfsfeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Oehlschläger
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dieses merkwürdige Gekrickel
zum Vorschein.« Noch immer hielt sie den besagten Zweig in den Händen und
wedelte damit etwas ziellos in der Luft herum.
    »Fichtenzweig«, korrigierte Mendelski
leise, dann wandte er sich wieder dem Waldboden zu. »Was glaubt ihr, was das
ist?«
    »Sieht aus wie ein Z mit Mittelstrich«,
versuchte Jo Kleinschmidt eine Deutung und zeichnete mit seinem Zeigefinger das
gut einen halben Meter lange Gebilde in der Luft nach. »Auf die Schnelle mit
dem Absatz eines Schuhs tief in den Erdboden gekratzt. Man kann an einem Ende
sogar noch einen partiell brauchbaren Abdruck vom Sohlenprofil erkennen.«
    »Du tippst also auf ein bewusst
hinterlassenes Zeichen?«
    »Klar, denn das sieht nicht nach einer
unbeabsichtigten Hinterlassenschaft aus. Derjenige, der das gemacht hat, hat
mit voller Absicht gehandelt.«
    »Warum hat er es dann versteckt?«, wollte
Maike Schnur wissen. »Wenn sich jemand solche Mühe macht, will er doch sicher,
dass man sein Kunstwerk findet.«
    »Hat er ja gar nicht«, widersprach Strunz.
»Oder sie.« Er musste ob seiner Spitzfindigkeit kurz grienen. »Der Fichtenzweig
scheint noch nicht sonderlich lange hier gelegen zu haben. Das Erdreich um
das Z herum ist feuchter als das unter dem Fichtenteppich des
Streckenplatzes. Ergo: Dieser einzelne Zweig wurde erst kürzlich und
höchstwahrscheinlich nicht absichtlich bewegt. Durch eine Unachtsamkeit ist er
wohl eher zufällig genau auf das ominöse Zeichen bugsiert worden. Zum Beispiel
mit einem Fußtritt. Das wäre eine Kleinigkeit.«
    »Gut.« Mendelski kniff die Augen zusammen,
wodurch sich eine Falte zwischen seinen Augenbrauen bildete. »Alter?«
    »Noch recht frisch«, erwiderte Strunz und
deutete auf die Ränder des Z. »Die Erdkrümel sind bisher kaum erodiert,
also ist die Markierung heute im Laufe des Tages, wahrscheinlich erst vor
wenigen Stunden entstanden.«
    »Dann können wir wohl davon ausgehen«,
stellte Mendelski fest, »dass dieses Zeichen aller Wahrscheinlichkeit nach mit
dem Mädchen zu tun hat. Zumindest mit der Leichenablage. Wir müssen also
versuchen, die Botschaft richtig zu lesen.« Er legte seinen Kopf schief, um die
Perspektive auf die Zeichnung zu verändern. Die anderen folgten seinem
Beispiel.
    »Brainstorming«, beschloss er. »Was, meint
ihr, könnte das wohl sein?«
    »Allem Anschein nach ein Buchstabe«, sagte
Ellen Vogelsang. Sie hatte sich inzwischen des Fichtenzweiges entledigt, nicht
aber des widerspenstigen Baumsaftes. Tapfer kämpfte sie mit dem klebrigen Harz,
das hartnäckig an ihren Plastikhandschuhen haftete und diese letztendlich
ruinierte. »Eine Zahl scheidet doch aus, oder etwa nicht?«
    Keiner schien weiter auf die Zahlentheorie
eingehen zu wollen.
    »Vielleicht ist es aber kein Z«, gab
Strunz nach einer kurzen Pause zu bedenken, »sondern ein N mit
Mittelstrich. Und der Mittelstrich könnte ein I darstellen.«
    Zustimmendes Gemurmel ertönte.
    »Bravo. Das sollten wir auf jeden Fall in
Betracht ziehen«, lobte Mendelski seinen besten Mann.
    »Es könnte auch ein Hinweis sein, ich
meine, ein Wegweiser oder so.« Maike Schnur hatte ihren Notizblock gezückt und
fing an zu zeichnen. »Ein Pfeil mit zwei Spitzen, der uns eine bestimmte
Richtung angeben möchte.«
    »Oder es ist schlicht eine Art
Visitenkarte«, meinte Kleinschmidt, der aufgestanden war, um mit etwas mehr
Abstand auf den Waldboden zu gucken. »Die Kinogänger unter euch müssten
eigentlich draufkommen: Der Mann mit der Maske, Antonio Banderas. Z wie
Zorro! Der schwarze Rächer lässt grüßen.«
    »Warum nicht?« Ellen Vogelsang schien von
der Idee begeistert. »In dem Film spielte das Z jedenfalls eine bedeutende
Rolle. Geritzt mit dem Degen, gemalt mit heißem Wachs oder geträufelt mit Blut.
Vielleicht hat sich dadurch jemand inspirieren lassen.«
    »Genug herumspekuliert.« Mendelski wandte
sich zum Gehen. »Fotos und Gipsabdruck, bitte. Alles Weitere später.«
    * * *
    Der Wind wurde stärker. Er
zerrte an den zerzausten Baumkronen der Kiefernüberhälter am Wegesrand und
blies die letzten Regentropfen von den Zweigen. Obendrein rieselten unzählige
abgestorbene Nadeln zum Boden hinab; etliche von ihnen erreichten jedoch nicht
den Erdboden, sondern landeten auf Autodächern, behüteten Häuptern oder
bemäntelten Schultern der Jagdkorona.
    Irene Hogreve machten weder die schweren
Wassertropfen im Gesicht noch die Kiefernnadeln in ihrem blonden Haar etwas
aus. Mühsam um Fassung ringend, hielt sie den

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