Wolfsfeder
antike Stück mit aufwendig gedrechselten
Beinen und einer massiven Tischplatte aus Eiche prägte den großen Raum. In der
Mitte des Tisches stand auf einem Bastset eine Blumenvase mit gelben Rosen.
Auch die übrige Wohnzimmereinrichtung
bestand aus einer Ansammlung von antiken Möbeln, altertümlichen Ölgemälden und
einigen Jagdtrophäen an den Wänden. In einem Kamin loderte ein Feuer. Nur der
Flachbildschirm des neumodischen TV -Geräts
und die dazugehörigen, getarnt im Raum platzierten Lautsprecherboxen wiesen auf
die hoch technisierte Gegenwart des 21. Jahrhunderts hin.
Frau Hogreve war gerade aus der Küche
gekommen, stellte einen Teller mit Gebäck auf den Tisch und setzte sich zu
ihnen.
Kreinbrink senior hatte in der
Zwischenzeit seinen dicken Jagdpullover ausgezogen und sah seinen Sohn an.
Vater und Sohn, beide mit roten Gesichtern, begannen in ihren Thermohosen zu
schwitzen. Die Wärme des Kamins tat ihre Wirkung. Maike dagegen wirkte in ihrem
leichten Top und der dünnen Jacke reichlich sommerlich.
»Ich habe sie zuletzt am Montag gesehen«,
sagte Konrad Kreinbrink. »Montagmorgen, genau genommen beim Frühstück, bevor
ich nach Berlin zu einem Kongress gefahren bin. Ich bin erst gestern spät in
der Nacht, so gegen ein Uhr heimgekommen und heute zur Jagd gleich wieder früh
los. Da sind mir lediglich Frau Hogreve und mein Sohn begegnet.«
Irene Hogreve nickte bestätigend und
wollte gerade etwas sagen, als ihr Blick auf Kai fiel.
»Sie war so ein fröhliches Mädchen«,
murmelte er und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen »So lebensfroh,
so natürlich und arglos, so … unheimlich nett. Was ist bloß mit ihr
geschehen?«
Mendelski rückte auf seinem Stuhl ein
Stück nach vorn. »Wann«, fragte er mit sanfter Stimme, »haben Sie Yadira das
letzte Mal gesehen?«
Kai Kreinbrink schaute ihn mit geröteten
Augen an. »Gestern«, sagte er. »Gestern Abend. Wir hatten Spanisch bei ihr, wie
jeden Mittwoch.«
»Wer ist ›wir‹?« Auch Maike Schnur sprach
leise und einfühlsam. Sie hielt ihren Notizblock bereit, um mitzuschreiben.
»Wer, außer Ihnen, war noch dabei?«
»Finn, Lasche und Mira«, antwortete er.
Maike schaute ihn fragend an, die
Kugelschreiberspitze einen Zentimeter über dem Papier.
»Finn Braukmann, Hanno ›Lasche‹ Stucke und
Mira Köhne. Alles Freunde von mir.« Kai ließ der Kommissarin Zeit zum
Schreiben. Dann fuhr er fort: »Yadira hat uns Spanisch beigebracht. Als so ‘ne
Art Privatlehrerin. Gestern Abend haben wir hier einen Film auf DVD angeguckt. Die Reise des jungen Che . Auf
Spanisch natürlich.«
»Privatlehrerin?« Maike Schnur sah vom
Block auf. »Sie war doch noch sehr jung.«
»Wieso denn nicht?« Über Kais Gesicht
huschte der Anflug eines Lächelns. »Sie brauchte doch keine Lehrerausbildung,
um uns die Grundlagen ihrer Muttersprache beizubringen. Das hat sie super
gemacht, auch ohne große pädagogische Kenntnisse.«
»Und Ihre Schwester?«, fragte Mendelski.
»Hat die auch am Spanischunterricht teilgenommen?«
»Nur dann, wenn sie unter der Woche mal zu
Hause war.«
»Ihre Schwester wohnt nicht mehr hier?«
»Nein«, mischte sich Konrad Kreinbrink
unwillig ein. »Kathrin lebt und studiert seit einigen Wochen in Lüneburg; sie
ist nur noch sporadisch hier.« Dem Hausherrn gingen solche Fragen offenbar zu
weit. »Können wir diese Details nicht später klären?«, fragte er. »Ich meine,
Yadira ist erst wenige Stunden tot. Da dürften wir, die ihr sehr nahestanden,
doch etwas mehr Rücksichtnahme erwarten können.«
»Ich kann Sie verstehen«, erwiderte
Mendelski ruhig und nickte. »Doch die Statistik beweist, dass die ersten
Stunden der Ermittlungsarbeit bei Todesfällen mit unnatürlicher Ursache die
wichtigsten sind. Den Betroffenen eine Trauerzeit zuzugestehen, können wir uns
einfach nicht leisten – so leid es mir tut.«
Konrad Kreinbrink nahm seine Brille ab und
tupfte sich mit einer Serviette den Schweiß von der Stirn. Er seufzte. »Dann
tun Sie in Gottes Namen Ihre Pflicht. Aber beeilen Sie sich bitte.«
»Was geschah nach dem
Spanischunterricht?«, ergriff Maike Schnur wieder das Wort.
»Wir haben noch zusammengesessen, bis
Mitternacht. Alle fünf.« Kai kamen wieder die Tränen. »Wir hatten so viel Spaß,
haben gelacht, getanzt … Yadira hat uns Salsa und Merengue beigebracht.
Zumindest hat sie’s versucht. Denn anders als wir steifen Deutschen bewegte sie
sich unnachahmlich … so geschmeidig und elegant aus der
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