Wolfsfeder
steuerte seinen
Privatwagen – denn damit war er ja an diesem ursprünglichen Urlaubstag zur
Jagd gefahren – im Schatten der Eichen über eine holprige, aus Feldsteinen
und Kies gefertigte Einfahrt. Sichtlich beeindruckt flüsterte Maike Schnur auf
der Rückbank: »Wow! Wie ich diese alten Höfe liebe!«
»Ja, nicht schlecht«, erwiderte der
Kommissar, während er in den Rückspiegel schaute. Den Satz »Steuerberater
müsste man sein« verkniff er sich, da Kai Kreinbrink als Passagier im Auto
mitfuhr.
Sie kamen neben den Wagen von Kreinbrink
senior und Irene Hogreve zum Stehen. Die beiden schienen kurz vor ihnen
angekommen zu sein und warteten neben ihren Fahrzeugen. Nach Mimik und
Körpersprache zu urteilen – so befand der aufmerksame Kommissar –,
musste es zwischen den beiden unmittelbar zuvor zu einer Auseinandersetzung
gekommen sein. Doch als die drei Neuankömmlinge ausstiegen, gaben sich Hausherr
und Haushälterin unverfänglich freundlich.
»Kommen Sie doch herein«, bat Konrad
Kreinbrink Mendelski und Maike Schnur, nachdem er seinem Sohn einen
aufmunternden Blick zugeworfen hatte. »Frau Hogreve, machen Sie uns bitte einen
Kaffee.«
* * *
Als sie den Gasthof Cohrs in Endeholz
erreichten, waren die Parkplätze schon rar. Rechts und links der Straße reihte
sich Wagen an Wagen. Großvolumige Geländewagen und grüne Kombis stellten die
Mehrzahl; die meisten brauchten dringend eine Wagenwäsche. Da wirkte ihr
schneeweißer VW Caravelle,
der langsam zwischen den beiden Autoreihen hindurchtuckerte, wie ein Exot.
Heiko Strunz hatte Mühe, einen Parkplatz
für den nicht gerade handlichen Kleinbus zu finden. Bei der Abzweigung nach
Kragen fand er schließlich doch eine Lücke, versteckt unter den tief hängenden
Ästen eines Haselnussstrauchs. Nachdem sie ihre für die Befragungen nötigen
Utensilien zusammengesucht hatten, machten sich Strunz und Kleinschmidt auf den
Weg zur Gastwirtschaft.
Ellen Vogelsang blieb noch beim Wagen, da
sie sich bei ihrer Tochter telefonisch für den verspäteten Feierabend
entschuldigen wollte. Die Kriminalkommissarin war alleinerziehende Mutter einer
vierzehnjährigen Tochter, und eigentlich war für den heutigen Abend ein
gemeinsamer Besuch im Celler Schlosstheater geplant gewesen.
Um ungestört sprechen zu können, zog sie
sich für das Telefonat unter den Haselnussstrauch zurück. Als sie kurze Zeit
später – ihre Tochter Maren hatte ungewöhnlich verständnisvoll
reagiert – unter dem Strauch hervortreten wollte, um den anderen zu
folgen, vernahm sie plötzlich aufgeregte Stimmen vor sich.
»Aber Jochen, gib’s doch zu«, sagte eine
Männerstimme verständnislos. »Gerade du kanntest das Mädchen doch besonders
gut.«
»Halt bloß den Mund«, quiekte eine zweite
Stimme leise. Sie klang ängstlich. »Wenn das einer von den Kripo-Leuten …«
Ellen Vogelsang, die wie angewurzelt
stehen geblieben war, machte intuitiv einen Schritt zur Seite, um nicht
entdeckt zu werden. Äste und Laub des Haselnussstrauchs kitzelten sie im
Nacken.
»Mensch, die sind doch längst in der
Kneipe«, hörte sie den Ersten ungeduldig sagen. »Hier steht doch der Wagen von
denen.«
»Lass es einfach«, flehte derjenige, der
Jochen genannt worden war. »Du weißt am besten von nichts.«
»Wovor hast du denn solche Angst?«
»Du stellst Fragen!« Er hüstelte. »Kannst
du dich nicht mehr an Pfingsten, an das letzte Schützenfest erinnern? Da hat
sie mich doch zum Tanzen aufgefordert – und ganz schön lächerlich gemacht.
Mein Gott, was das für ein Spießrutenlaufen hinterher war: Tollpatschiger,
geiler Pauker lässt sich von exotischer, bildschöner Schülerin becircen. Ruck,
zuck ging das rum – wie ein Lauffeuer.«
»Ach das. Meinst du nicht, dass du das
viel zu dramatisch siehst?«
»Zu dramatisch? Hast du denn nie die Fotos
gesehen?«
»Nein, was denn für Fotos?«
»Ist jetzt auch egal – also bitte,
halt dich zurück.«
»Okay, versprochen.«
»Danke, Horst, du bist ein echter Freund.«
Die Stimme des Lehrers wurde merklich ruhiger: »Los, lass uns reingehen. Sonst
machen die sich noch Gedanken.«
»Warte, ich muss nur noch eben
pinkeln – am besten gleich hier in den Busch!«
Ellen Vogelsang stockte der Atem.
* * *
»Wann haben Sie …«
Mendelski ließ sich von Maike Schnur den Notizblock reichen und las ab:
»… Yadira Martinéz zum letzten Mal lebend gesehen?«
Sie saßen im Wohnzimmer an einem Esstisch,
um den zwölf Stühle standen. Das
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