Wolfsfeder
wir morgen wieder am Samstag ranmüssen. Alles Weitere dann
um zehn bei der Lagebesprechung in der Jägerstraße.«
Zu der anberaumten Besprechung der
Mordkommission würde es jedoch nicht kommen. Denn der Samstag sollte noch
turbulenter verlaufen als der Freitag.
* * *
Verdammt spät war es geworden.
Zu Doris brauchte er jetzt nicht mehr zu fahren. Sie würde ihn bestimmt nicht
mehr in ihre Wohnung lassen. Also musste er seinen Besuch auf den nächsten Tag
verschieben.
Obendrein war er hundemüde. So spät war er
lange nicht mehr von der Arbeit heimgekommen. Die Stunden würde er als
Überstunden aufschreiben, da gab’s kein Vertun. Schließlich war er ja nicht
freiwillig und spaßeshalber so lange im Wald geblieben, sondern auf Weisung
seines Arbeitgebers. Ob von Bartling sich aber darauf einlassen würde, das war
alles andere als sicher.
Karl-Heinz Jagau hatte sich kurzerhand
einen Strammen Max gebrutzelt und bereits die zweite Flasche Bier geöffnet, als
er sich am Couchtisch niederließ. Er wollte beim Abendbrot ein wenig durchs
Fernsehprogramm zappen, um endlich mal an etwas anderes zu denken als an das
tote Mädchen.
Doch das, was er heute erlebt hatte, ließ
ihn so schnell nicht los. Die brennenden Schwedenfeuer auf dem Streckenplatz,
die wegweisenden Brüche, der anschließende Marsch durch den nächtlichen Wald
zur Jagdhütte. Was hatten wohl Pagel und Wiegand mit dem Fall zu tun?
Moment, was war denn das eben?
Die Fernbedienung wanderte von seiner
linken Hand in die rechte. Er wählte die Taste mit dem roten Pfeil, um zu dem
Sender zurückzukehren, den er zuvor für gerade mal ein, zwei Sekunden
eingeschaltet gehabt hatte.
Er hatte richtig gesehen. Auf dem
Bildschirm war eine offensichtlich leblose Frau zu sehen, die halb entkleidet
und mit einer blutenden Kopfwunde in einer Lärchenschonung lag. Aus dem Beitrag
des Moderators hörte er, dass es sich bei der Sendung nicht um einen
Kriminalfilm, um einen fiktiven Fall, sondern um eine Dokumentation handelte.
Die junge Frau, eine Prostituierte aus
Hamburg, war vor zwei Jahren von einem Jäger in den Harburger Bergen gefunden
worden. Vergewaltigt, stranguliert und letztendlich mit einem stumpfen
Gegenstand erschlagen. An der Leiche hatte man damals jede Menge genetisches
Material sichergestellt, das man nicht dem Opfer zuordnen konnte:
Samenflüssigkeit, Haare, einige Tropfen Blut und winzige Hautpartikel, die man
unter den Fingernägeln der Ermordeten gefunden hatte. Die Kriminalpolizei
mutmaßte damals, dass sich die Frau heftig gewehrt und ihrem Peiniger einige
böse Kratzer zugefügt hatte.
Schlagartig war Karl-Heinz Jagau hellwach.
Er legte die Fernbedienung zur Seite und fuhr sich nachdenklich mehrmals mit
der Hand über die Wange. Die drei Schrammen waren noch deutlich zu spüren.
Der Bericht im Fernsehen schreckte ihn
restlos auf. Mit zunehmender Verunsicherung verfolgte er den Rest der
Dokumentation.
Anhand des genetischen Fingerabdrucks war
es der Mordkommission gelungen, jetzt – zwei Jahre später – einen bis
dato unbescholtenen Familienvater der grausamen Tat zu überführen. Er war einer
der unzähligen Freier gewesen, die sich einem DNA -Test
hatten unterziehen müssen.
Der Moderator erklärte, dass die Polizei
bei solchen Ermittlungen nicht nur auf groß angelegte Massentests zurückgriff,
sondern von Verdächtigen zuweilen auch verdeckt DNA -Material
beschaffte, um dieses mit den am Tatort gefundenen Spuren zu vergleichen.
Hierzu würden gern Haarbürsten, Mützen oder auch Handschuhe sichergestellt.
Handschuhe?
Karl-Heinz Jagau sprang auf.
»Dieser Arsch!«, zischte er. »Deswegen
also die Arbeitshandschuhe. Von wegen Fasern … So ‘n Quatsch!«
Er griff nach der Bierflasche und leerte
sie mit einem Zug.
NEUN
Sie konnte einfach nicht
einschlafen.
Lag es an der Zeitverschiebung? Oder
daran, dass sie so aufgeregt war, in wenigen Stunden ihr Reiseziel zu
erreichen? Sie wusste es nicht. An dem Lärm jedenfalls, der aus einer Diskothek
gegenüber dem Hotel zu ihr herüberdrang, konnte es nicht liegen. Eine solche
Geräuschkulisse kannte sie von zu Hause, von der Open-Air-Disco El Lobo Loco , die nur einen
Steinwurf von ihrem Elternhaus in San José de las Matas entfernt lag.
Die Fahrt mit dem Taxi vom Flughafen
Frankfurt zum Hotel war sehr unterhaltsam gewesen. Der Taxifahrer hatte sich
als Exil-Kubaner entpuppt; er war ganz aus dem Häuschen gewesen, eine
Passagierin von einer Nachbarinsel in der Karibik zu
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