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Wolfsfeder

Wolfsfeder

Titel: Wolfsfeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Oehlschläger
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chauffieren – und
noch dazu so eine hübsche. Auf der zehnminütigen Fahrt hatte er ihr sein halbes
Leben erzählt, während im Hintergrund Musik von Buena Vista Social Club lief.
    Sie zog die Decke über die Schulter und
wälzte sich von einer Seite zur anderen. Es nützte nichts. Sie blieb hellwach.
Schließlich knipste sie entnervt die Nachttischlampe an und setzte sich auf die
Bettkante.
    Unentschlossen starrte sie auf den kleinen
Zettel, der neben dem Telefon auf dem Nachttisch lag. Darauf hatte sie eine
Telefonnummer notiert. Schließlich griff sie zum Telefon. Ihre Hand zitterte,
als sie die ersten Ziffern eintippte: 0514 …
    Sie brach ab und legte den Hörer auf.
    Nein, sagte sie sich, keine gute Idee.
Erstens ist es schon viel zu spät, und zweitens reicht es, wenn ich morgen
aus – wie heißt noch einmal diese kleine Stadt? – aus Celle anrufe.
    So würde die Überraschung umso größer
sein.
    * * *
    Als Mendelski aufwachte, war
stockfinstere Nacht. Sein Schädel dröhnte vor Kopfschmerzen. Er schob das
Kopfkissen zurecht, drehte sich auf den Rücken und lauschte in die Dunkelheit.
Außer dem Piepen in seinem linken Ohr hörte er nichts. Das penetrante
Tinnitusgeräusch übertönte das Ticken des Weckers auf dem Nachttisch und das
sanfte Atmen seiner Frau neben ihm.
    Zwei Minuten blieb er auf dem Rücken
liegen, in der leisen Hoffnung, vielleicht doch wieder einzuschlafen.
    Aber die Schmerzen waren zu stark. Ihm
blieb nichts übrig, als aufzustehen und – wie schon tausendmal
zuvor – seine Tabletten zu schlucken.
    Um Carmen nicht zu wecken, schlüpfte er
vorsichtig unter der Bettdecke hervor und rutschte aus dem Ehebett. Auf
Zehenspitzen verließ er das Schlafzimmer und zog leise die Tür hinter sich zu.
Ohne Licht zu machen, stieg er die Treppe hinab; diesen Weg kannte er
buchstäblich im Schlaf.
    »Guten Morgen, Pic«, flüsterte er mit
schmerzverzerrtem Gesicht, nachdem er das Wohnzimmer betreten und das Licht
angeknipst hatte. Der Kater Picasso, der auf einem der Korbstühle hockte, hob
nur kurz seinen Kopf und schlummerte dann weiter. Das kluge Tier wusste schon,
dass sein Herrchen jetzt keine Zeit für Futter oder Streicheleinheiten hatte.
    Mendelski trottete in sein Arbeitszimmer,
öffnete die Schreibtischschublade und nahm die Tablettenschachtel heraus. Erst
jetzt wagte er einen Blick auf die Uhr, eine altmodische Wanduhr mit
Holzgehäuse, die er von seiner Großmutter geerbt hatte.
    »Dios mio!« ,
entfuhr es ihm. Es war vier Uhr zweiunddreißig.
    Das kommt davon, wenn man es nach einem
langen, anstrengenden Tag noch wagt, kurz vor Mitternacht mit seiner Frau ein
Gute-Nacht-Gläschen zu trinken, tadelte er sich selbst. Und dass ihm Rotwein,
selbst der gute Rioja von der Schwägerin in Barcelona, in letzter Zeit nicht
sonderlich bekam, hätte er eigentlich wissen müssen.
    Beim Gang in die Küche tat ihm jeder
Schritt weh. An diesem Morgen waren es Kopfschmerzen der heftigen Art. Also
füllte er ein Glas mit Leitungswasser und spülte zwei Tabletten hinunter.
    Den Weg zum Briefkasten konnte er sich
sparen, die Zeitung würde noch nicht da sein. Die kam immer erst gegen fünf Uhr
dreißig. Das war schade, denn er genoss es, frühmorgens in aller Ruhe in der
Zeitung zu blättern, während er darauf wartete, dass die Schmerzen nachließen.
    Mendelski schlurfte zurück in sein
Arbeitszimmer und setzte sich an den Schreibtisch. Außer der Tischlampe, die
einen eng umgrenzten Lichtkegel auf die Schreibunterlage warf, hatte er alle
anderen Lichter ausgeknipst.
    Mit beiden Händen massierte er Stirn und
Nasenwurzel. Um sich abzulenken, verfiel er ins Grübeln.
    Donnerstag und Freitag hatten es in sich
gehabt. In den vergangenen beiden Tagen war so viel geschehen, dass er
befürchtete, den Überblick zu verlieren.
    Bald schon, um Punkt zehn Uhr, musste er
in der Jägerstraße seinem Chef Steigenberger und den anderen Kollegen der
Mordkommission Rede und Antwort stehen. Vielleicht würden auch Vertreter des
Innenministeriums und des Dominikanischen Konsulats an der Besprechung
teilnehmen. Da war es sicher nicht verkehrt, die Zeit sinnvoll zu nutzen und
sich schon einmal ein paar Notizen zu machen.
    Aus dem Faxgerät fischte er einen leeren DIN-A 4-Zettel und
griff sich einen Bleistift aus der Ablage. Doch er schrieb nicht. Er zeichnete.
Kreise, Linien, Pfeile. Er skizzierte Bäume, ein stattliches Haus, eine Hütte.
    Doch für sein Vorhaben war das Blatt viel
zu klein. Als er sich nach etwas

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