Wolfsfeder
oder fünften Flasche
Bier war er kurz davor gewesen, bei der Kripo in Celle anzurufen und sich über
diesen hinterlistigen Kommissar zu beschweren. Wie hieß der doch gleich?
Mandelski oder so.
Jagau sah noch, wie das Auto rechts in die
Grünackerstraße abbog, während er weiter geradeaus fuhr.
Er musste endlich zu Doris. Um Klarheit
über die Ereignisse von Mittwochnacht zu bekommen – und um dieses
grässliche Hirngespinst loszuwerden, er habe vielleicht etwas mit dem Tod des
ausländischen Mädchens zu tun.
Als er wenig später bei Doris vor der
Haustür stand, wurde erst nach mehrmaligem Klingeln geöffnet. Durch den
schmalen Spalt, den die Sicherungskette zuließ, sah er aber nicht das Gesicht
von Doris, sondern die spitze Nase seines Kumpels Piet.
»Ey, was willst du denn schon so früh?«,
krächzte Piet so heiser wie eine rostige Gießkanne. »Ist doch Wochenende.«
»Ich muss mit Doris reden«, erwiderte
Jagau, dem der Frust anzusehen war. »Hatte ja keinen Schimmer, dass du hier
bist. Los, mach schon auf, es ist wichtig.«
»Später. Komm später wieder.« Piet strich
sich sein zotteliges Haar aus der Stirn. »Doris ist noch gar nicht ansprechbar.
Gestern Nacht ist es wieder verdammt spät geworden.« Er fasste sich an die
Stirn. »Oh Mann, mein Schädel.«
»Scheiß Gesaufe!«, fluchte Jagau und
machte auf dem Absatz kehrt.
* * *
Finn war schon wach. Er hatte
sogar schon gefrühstückt. Sie konnten also sofort los.
Es war nicht weit zu Rolf Wiegands kleinem
gelben Bungalow, quasi gleich um die Ecke. Kai parkte den Land Rover
vorsichtshalber eine Straße vorher. Der Gärtner sollte sie nicht kommen hören.
Sonst würde er sich womöglich einschließen oder gar verbarrikadieren.
Als sie um die Ecke bogen und Wiegands
kleines Häuschen sehen konnten, zuckten sie zusammen.
Geistesgegenwärtig zog Kai seinen Freund
hinter einen Heckenvorsprung.
»Mensch, die Bullen«, flüsterte er. »Vor
dem Haus vom Wiegand steht eine Streife.«
»Ist doch okay«, erwiderte Finn laut, der
Kais Versteckspiel nicht verstehen konnte. »Dann schnappen sie ihn endlich.«
»Wart’s mal ab.« Kai lugte vorsichtig um
die Ecke. »Siehste? Die beiden stehen nur blöd rum. Der Wiegand macht einfach
nicht auf.«
»Lebt er denn allein da?«
»Keine Ahnung. Glaub aber schon.«
Auch Finn sah nun vorsichtig um die Ecke.
»Vielleicht ist er ja wirklich nicht zu Hause. An seiner Stelle würde ich auch
sehen, dass ich wegkomme.«
»Aber da steht doch sein Auto in der
Einfahrt.«
»Dann ist er irgendwie anders getürmt. Mit
dem Zug – oder was weiß ich.«
Die beiden uniformierten Polizisten
versuchten, durch die mit Gardinen verhangenen Fenster einen Blick ins Innere
des Hauses zu erhaschen, klopften gegen die Scheibe, riefen Wiegands
Namen – aber ihre Aktion wirkte ziemlich hilflos. Schließlich ging einer
von ihnen zum Streifenwagen zurück und setzte sich auf den Beifahrersitz, um
über Funk Instruktionen einzuholen. Er winkte kurz darauf seinen Kollegen
herbei. Unverrichteter Dinge fuhren sie davon.
»Diese Pfeifenheinis!« Kai war erbost.
»Los, das können wir doch besser.«
»Wie denn?«
»Das siehst du gleich … los jetzt.«
»Sollten wir nicht lieber …«
Ohne zuzuhören, ging Kai schnellen
Schrittes voran. Finn folgte.
Sie überquerten die Straße und bogen auf
ein unbebautes Grundstück ein, das an das mit dem gelben Bungalow grenzte. Die
hier wild aufgelaufenen Birken und Kiefern gaben genügend Deckung, sodass sie
unbemerkt bis an Wiegands Jägerzaun gelangten.
»Wenn der Wiegand da im Haus ist, hat er
bestimmt mitgekriegt, dass die Bullen wieder abgezogen sind«, raunte Kai seinem
Freund zu. »Dann wird er vielleicht unvorsichtig und guckt aus dem Fenster. Um
nachzuschauen, ob die Luft rein ist.«
»Wenn du meinst.« Finn schien das
Räuber-und-Gendarm-Spiel nicht sonderlich zu behagen.
Mit jeweils einem großen Schritt
überstiegen die beiden hochgewachsenen jungen Männer den hüfthohen Zaun. Sie
landeten im ungepflegten Obst- und Gemüsegarten von Rolf Wiegand, in dem
offensichtlich nicht nur das Unkrautjäten seit Langem unterblieben war. Der
Zustand des Gartens stellte seinem Besitzer ein schlechtes Zeugnis aus –
für einen Gartenprofi sicher keine Empfehlung.
»Der rechnet doch bestimmt nur auf der
Straßenseite mit Besuch«, flüsterte Kai, während sie hinter einem
Stachelbeerbusch hockten. »Los, wir schleichen uns zur Rückseite.«
Auf allen vieren gelangten sie in
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