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Wolfsfeder

Wolfsfeder

Titel: Wolfsfeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Oehlschläger
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schaute nicht nach rechts, nicht nach
links.
    »Mensch, Wiegand«, brüllte Kai durchs
geöffnete Beifahrerfenster. »Halten Sie an, um Himmels willen.«
    Doch der Gärtner reagierte nicht. Wie von
Sinnen radelte er stur weiter geradeaus, mit hochrotem Kopf und verkniffenen
Gesichtszügen.
    »Na warte, ich kann auch anders.« Mit
Vollgas überholte Kai den Radler, zog den Geländewagen plötzlich nach rechts an
die Straßenseite und bremste abrupt.
    »Raus, den packen wir uns«, schrie er.
    Noch bevor sie einen Fuß auf die Straße
setzen konnten, war Wiegand an ihnen vorbei. Geschickt hatte er den Land Rover
einfach links überholt.
    Kai und Finn rissen die Autotüren wieder
zu. Die wilde Jagd begann von Neuem.
    Jetzt war Wiegand nur noch wenige Meter
entfernt vom höchsten Punkt der Brücke, wo die Landstraße die ICE -Doppeltrasse überquerte.
    Plötzlich drehte er sich zu ihnen um.
    In seinen Augen stand das schiere
Entsetzen. Offenbar hatte er erkannt, dass seine Verfolger ihn in null Komma
nichts wieder einholen würden.
    Mit radierenden Reifen bremste er das
Fahrrad und stieg ab. Wie ein Kinderspielzeug hob er es mit beiden Armen hoch
über seinen Kopf und schleuderte es dem heranrasenden Land Rover entgegen.
    »Nein«, schrie Kai und trat auf die
Bremse.
    Zu spät. Der Drahtesel geriet genau
zwischen die Vorderräder, wurde mitgeschleift und riss tiefe Riefen in den
Asphalt. Funkensprühend und mit ohrenbetäubendem Kreischen kam das Auto auf der
Brücke zum Stehen.
    »Ja, spinnt denn der?« In Panik hielt sich
Finn noch immer die Ohren zu.
    Totenbleich hockte Kai auf dem Fahrersitz,
sprachlos, das Lenkrad mit zitternden Händen umklammernd. Den Motor hatte er
bei dem mörderischen Bremsmanöver abgewürgt.
    Mit so einer Wurfattacke, mit so viel
Aggressivität hatte er nicht gerechnet.
    Als er sah, dass der Gärtner weiterlief,
stieg eine unheilvolle Ahnung in ihm auf.
    Vom Entsetzen gelähmt, beobachtete er, wie
Wiegand gehetzt die paar Schritte zur Brückenkuppe rannte und das Geländer
erreichte. Erst schaute der Gärtner hinunter auf die Bahntrasse, dann in die
Ferne, in Richtung Süden.
    Mit rasender Geschwindigkeit näherte sich
von dort ein ICE .
    Später sollte Kai sagen, er hätte das
Geschehen wie in Zeitlupe wahrgenommen.
    Verblüffend behände kletterte der massige
Mann über das Geländer und stieg auf das Wellblech, das als Berührungsschutz
für die Hochspannungsleitungen der Bahn diente.
    Unsicher drehte er sich um und schaute zum
Land Rover hinüber. Dann rutschte er auf dem abschüssigen Blech aus, ruderte
hilflos mit den Armen und verschwand in der Tiefe.
    Donnernd raste der ICE unter der Brücke hindurch.
    * * *
    Warum kamen die denn nicht?
    Irene Hogreves Ungeduld wuchs. Ebenso ihr
Unbehagen. Sie erwischte sich dabei, dass sie aus mehr oder weniger nichtigen
Gründen in den Flur lief, von wo aus man durch ein Fenster die Hofzufahrt und
den Parkplatz einsehen konnte. Mal goss sie die Blumen auf dem Fensterbrett,
die sie erst gestern versorgt hatte und deren Untersetzer überliefen, mal
wischte sie den Staub von den unzähligen Gehörnen und Geweihen, eine Tätigkeit,
die sie in ihrem siebenjährigen Haushälterdasein im Hause Kreinbrink bisher
noch nie verrichtet hatte.
    Vor über einer Stunde hatte Konrad
Kreinbrink bei der Kripo in Celle angerufen und dem Diensthabenden ihre
gestrige Begegnung mit dem Gärtner Wiegand im Holzschuppen geschildert. Der
Beamte habe sehr interessiert zugehört, hatte der Hausherr ihr berichtet. Sie
rechnete daher damit, heute noch von der Polizei vernommen zu werden.
    Konrad Kreinbrink hatte sich nach dem
Frühstück kommentarlos in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Wenn Irene Hogreve
sich mal wieder auf dem Flur betätigte und angestrengt die Ohren spitzte,
vermochte sie ab und an, seine unterdrückte Stimme zu hören. Er schien zu
telefonieren.
    Plötzlich drangen Motorengeräusche an ihr
Ohr.
    Wenn das nur endlich die Kripo aus Celle
ist, dachte sie, während sie zum Fenster eilte. Vielleicht war es aber auch
Kai, der heimkehrte. Der Junge hatte sich mal wieder, ohne sich abzumelden, mit
dem Land Rover davongemacht.
    Es war die Polizei. Jedoch nicht die
Beamten, die sie erwartet hatte. Das Auto, das gerade auf dem Hof anhielt, war
nicht von der Kripo. Aus dem Streifenwagen stiegen zwei Uniformierte, die sie
mit der hiesigen Polizeistation in Verbindung brachte.
    Sie war enttäuscht. Mit etwas mehr
Interesse seitens der Ordnungshüter hatte sie schon

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